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Narr

Narr

Titel: Narr
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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den Schatten neben dem Fenster anschauten, schüttelte der nur leicht den Kopf und seine beiden Gefährten lehnten sich wieder an die Mauer, entspannten sich. Aber sie ließen die Stelle unter dem Baum nicht mehr aus den Augen und grinsten nicht einmal, als nach einiger Zeit verräterisches Rascheln und Stöhnen durch die laue Nacht drang.
    Die beiden haben eine einzige Chance, dachte der größte der drei, als er schließlich wieder zu den Sternen hochschaute. Sie sind schnell fertig oder sie sind tot.
    In der Stube des kleinen Bauernhauses kämpfte der alte Mann mit sich, endlich den entscheidenden Satz zu sagen, die richtigen Worte zu finden, den Einstieg in die unglaubliche Geschichte, die er erzählen wollte. Während er noch immer das alte Pressglas mit dem letzten Rest Zweigelt in seinen Händen drehte, beobachtete er genau sein Gegenüber. Georg Sina war nicht gerade der Typus des Universitätsprofessors aus dem Schulbuch. Abgewetzte Jeans, ein dunkles T-Shirt, das sich seiner besseren Tage nicht mehr erinnerte, muskulöse Unterarme und Hände, die sicherlich fest zupacken konnten. Die dunklen Haare endeten in einem langen Zopf auf seinem Rücken, eine Tatsache, die alle jene immer wieder in Verwirrung stürzten, die hinter der Institutstür mit der Aufschrift »Professor Dr. Georg Simon Sina, Mediävistik« einen traditionellen Anzugträger mit Pensionsberechtigung erwarteten.
    »Man hört viel Gutes von dir und viel Abenteuerliches über dich. Du sollst sogar deine Stelle an der Universität wieder angenommen haben.«
    Sina nickte stumm und teilte den letzten Rest des Weins möglichst gerecht zwischen den beiden Gläsern auf.
    »Das wird meinen alten Freund Meitner gefreut haben«, fuhr der Weißhaarige fort, »ich weiß, dass er dich schmerzlich vermisst hatte am Institut.« Universitätsprofessor DDr. Wilhelm Meitner, von seinen Studenten respektvoll »Wilhelm der Streitbare« genannt, Vorstand des Instituts für Geschichte an der Universität Wien, war tatsächlich begeistert gewesen, als Sina nach drei Jahren der totalen Isolation nach dem Tod seiner Frau wieder an die Universität zurückgekehrt war – und nach dem Enträtseln des kaiserlichen Codes Friedrichs III., was Sinas Ruf noch näher an die Legende gerückt hatte.
    »Viele meiner Studenten würden Ihnen widersprechen und mich viel lieber auf irgendwelchen ausgedehnten Entdeckungsreisen durch Burgund oder auf den Spuren der Mauren sehen«, grinste der Wissenschaftler. »Das hätte einigen von ihnen einen weiteren Prüfungstermin erspart und mir ein paar Nieten, die unbedingt eine akademische Karriere vor sich sehen.« Er nahm den letzten Schluck Rotwein, stellte das Glas auf der zerkratzten Tischplatte ab und stand auf. »Meitner ist ein Querdenker und ein Genie …«, meinte er mehr zu sich selbst als zu Kirschner, der sich nun ebenfalls schwerfällig aus dem Stuhl erhob.
    »… der nur noch von dir übertroffen wird«, lächelte der alte Mann und stützte sich schwer auf die Armlehne seines Sessels.
    Sina winkte ab, hängte seine Lederjacke über die Schultern, trat ans Fenster und schob die Vorhänge zurück. »Es gehört immer auch viel Glück dazu«, gab er zu bedenken und warf einen Blick aus dem Fenster in den Garten. Im Licht, das aus dem Zimmer in die Nacht fiel, sah er ein junges Paar, das vorsichtig tastend durchs hohe Gras zwischen den Obstbäumen ging. Es hielt sich an der Hand und das Mädchen kicherte leise, als es seinen Rock glatt strich.

Buch I
Der Lehrer

30.8.2009
    Exelberg, Wienerwald/Österreich
    E s war eine Minute nach Mitternacht, die gelben Zahlen der großen Digitaluhr in der Motorradverkleidung sprangen auf 00:01, als die durchgestrichene Ortstafel von Wien an Paul Wagner vorbeiflog und er die Honda CBR900 Fireblade in die erste lang gestreckte Kurve zog. Die aufgeblendeten Doppelscheinwerfer des siebzehn Jahre alten, aufwendig restaurierten Rennmotorrads leuchteten das graue Band der Straße überraschend hell aus. Die Fireblade der ersten Baureihe hatte noch den kurzen Radstand und die kleineren Räder, was ihr eine größere Wendigkeit verlieh als den Nachfolgemodellen. Deswegen bevorzugte sie Wagner für seine »Nachtflüge«, wie er die schnellen Runden durch den Wienerwald nannte.
    Die letzten Häuser der Stadt huschten an dem Motorradfahrer vorbei, die Honda röhrte auf und dann wand sich die Straße durch den Wald, eine Kurve reihte sich an die nächste. Der Journalist kannte die Strecke auswendig, hatte sie
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