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Nahe Null: [gangsta Fiction]

Nahe Null: [gangsta Fiction]

Titel: Nahe Null: [gangsta Fiction]
Autoren: Nathan Dubowitzki
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Wie Puschkin.« »Und wie Ihr Fahrer.«
    »Yes. Sanja. Mit einem S.« »Das heißt?«
    »Nicht mit SS. Ein Scherz.«
    »Auf Wiedersehen, Pawel Jewgenjewitsch. Ich geb die Erzählung Sanja.« »Bis dann, Jegor.«
     

2
    Während ihres Gesprächs hatte sich in der Ferne hinter dem Hochhaus ein matter, sämig wirkender Regen abgezeichnet. Doch der von einigen langsamen stummen Blitzen durchzuckte und keine Abkühlung versprechende feuchte Koloss kam gar nicht bis zum Zentrum. Er kroch zum Stadtrand und blieb irgendwo dort als schwerer Klumpen zähflüssigen, fast heißen Wassers hängen. Hier aber lastete eine gegen die Fenster drückende, Einlass begehrende, sich schon seit dem Morgen in allen Straßen ausbreitende fettige, rauchige, greifbare, ja sichtbare Hitze, wie sie nur in Moskau vorkommt.
    Jegor, der immer in Kälte und Zugluft gelebt und darin erstarkt war, wurde von Hitze krank. In seiner Wohnung ließen zahlreiche supermoderne Klimaanlagen und Ventilatoren die Wärme nie auf mehr als fünfzehn Grad ansteigen. Die wenigen Menschen, die Jegor hin und wieder besuchten, erschienen mit Winterkleidung, manche sogar mit Ohrenklappenmützen.
    Nun musste er zu zwei Treffen - erst mit Agolzow, einem Alkoholiker, Dichter, Übersetzer und Kokainschnupfer. Dann mit Nikita Marijewna, der Journalistin. Das hieß - rund hundert Schritte durch die Hitze. Beide Begegnungen sollten im Restaurant Almasny stattfinden. Im Erdgeschoss desselben Hauses, in dessen außerordentlich teurem Dachaufbau Jegor lebte.
    Das Almasny hatte nie den Namen gewechselt, den Besitzer, die Küche und die Einrichtung dagegen dreimal. Ende der Achtziger war es das erste sowjetische Restaurant gewesen, das nachts geöffnet hatte. Unerfahrene Gäste vom Typ Trottel, die aus Unwissenheit herkamen, um etwas zu essen, gerieten in die Gefangenschaft unfreundlicher, unsauberer und angetrunkener Kellner vom Typ Grobian. Die Speisekarte rückten sie nicht heraus, doch für ein Extraentgelt verrieten sie, es gebe »Schweineragout, Fischragout, geschmortes Hähnchen, Wodka und halbsüßen Sekt«. Auf der Bühne besangen verschreckte Musikanten vom Typ Gelegenheitsmusiker den weißen Donstrand, einen Ahornzweig und dein tränennasses Tuch. Verschreckt waren sie wegen der leidenschaftlichen Gäste vom Typ Krimineller. Besonders von Leuten mit Namen wie Botinok, Tjatja und Goga Hugenotte, die jede Nacht den Geburtstag von irgendjemandes Mutter feierten.
    In den neunziger Jahren verschwanden die blautätowierten Elemente allmählich, nach und nach von jungen, fortschrittlich denkenden Bandenchefs abgeknallt. Das Almasny wurde aus diesem Anlass nach westlichem Standard renoviert. Es gab plötzlich Hummer und Steaks, die Kellner waren nüchtern. In den stürmischen Zeiten hatten sich die Banditen miteinander vermischt, aneinander gerieben, Schliff bekommen und waren nun glatt und rund wie Kiesel am Weißmeerstrand. Die damaligen Herren des Lebens waren rotwangig, füllig und schweinchenäugig. Ohne Knasterfahrung und deshalb furchtlos. Sie waren sentimental und betätigten sich deshalb nach Maßgabe ihrer bescheidenen Vorstellungen vom Schönen als Mäzene. Zu dieser Zeit ließ sich Jegor hoch über dem Almasny nieder. Anfangs kam er nur samstagmittags auf einen Katerschluck her, weil es so schön nah war. Dann wurde es zur Gewohnheit. Und er kam einfach zum Essen herunter, wie in sein eigenes Esszimmer.
    Anfang der Nullerjahre fand die Mutation der Kriminellen ihren krönenden Abschluss in einer totalen Verwandlung. Die goldschweren Ketten und Armbänder waren nun wesentlich leichter, die Tätowierungen verblasst wie mittelalterliche Fresken und selten geworden. Der eine oder andere hatte Englisch gelernt und verzichtete auf Lacoste und Versace. Dieser oder jener schmückte sich mit einer Ehefrau in Beamtenposition oder einer Ballerina als Geliebten. Hübsche, mollige Kinder wurden geboren und gingen zum Aufwachsen in die Schweiz. Das Leben normalisierte sich.
    Auch das Almasny kam in Mode. Es wurde so stilvoll und das Essen so schmackhaft, wie es sich die gelangweilte, im Geld schwimmende und satte Unterart Mensch nur vorstellen kann.
    In diesem, dem dritten Almasny erblickte Jegor Plaksa. Begleitet wurde sie von drei Männern unterschiedlichen Alters, die - schwarz, weiß und etwas Platin - streng und teuer aussahen, wie Sargmacher, die soeben ihre Einnahmen nach zwei Pestepidemien in einem reichen Viertel gezählt haben. Später wunderte er sich: Auf den ersten
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