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Nahe Null: [gangsta Fiction]

Nahe Null: [gangsta Fiction]

Titel: Nahe Null: [gangsta Fiction]
Autoren: Nathan Dubowitzki
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lief nun als Schriftsteller Platonow herum.
    Nun wurden Professoren eingeschaltet. Der Roman wurde für kunstvoll gehalten, aber für unzeitgemäß befunden. Viktor Olegowitsch erfuhr enttäuscht, dass Platonow vor langer Zeit gestorben sei, nachdem er einen absolut identischen Text und noch viele andere geschaffen habe, so dass Viktor Olegowitsch folglich nicht Platonow sein könne.
    Der Patient gab erneut nach, weigerte sich aber weiterhin, Viktor Olegowitsch zu sein. Eilends wandte er sich der Malerei zu, und am Morgen prangte an der Krankenhauswand eine erschreckend unpassende Madonna von Raffael.
    Die Austreibung von Raffael dauerte einen Monat. Viktor Olegowitsch wurde sanfter. Er ahnte, dass er zu hoch gegriffen hatte. Und suchte sich bescheidenere Rollen. Er versuchte sogar, mit den Professoren zu handeln, damit sie ihm erlaubten, wenigstens der Patient X aus Zimmer zu sein. Doch die Professoren ließen sich auf keinen Kompromiss ein.
    „Ein erstaunlicher Patient", sagten sie zum medizinischen Personal. „Er würde jeder sein wollen, nur nicht er selbst. Damit muss Schluss sein."
    Und fuhren fort, an Viktor Olegowitsch gewandt: „Viktor Olegowitsch, Sie sind Viktor Olegowitsch. Und niemand sonst. Und aufgrund dessen werden Sie kategorisch entlassen."
    Der entlassene Viktor Olegowitsch trottete so niedergeschlagen die Straße entlang, dass ein unbekannter inländischer Gastarbeiter ihn aus Mitleid zum Bier einlud.
    Die Luft in der Bierstube war verbraucht und heiß. Bald tobte neben ihnen eine undurchsichtige Schlägerei, die auch Viktor Olegowitschs zufälligen Gönner erfasste, der mit einem Studenten aneinandergeriet. Der Student war kleiner als der Gastarbeiter und zückte aus Furcht vor einer Niederlage ein Messer. Da packte der Gastarbeiter Viktor Olegowitsch und schleuderte ihn auf den Studenten. Viktor Olegowitsch empfand einen Augenblick lang eine zweideutige Freude am freien Flug und krachte direkt auf den Kopf des Studenten. Der Student knackte. Viktor Olegowitsch verlor das Bewusstsein.
    Auf einem Milizrevier kam er zu sich.
    „Durch Sie kam ein Mensch zu Tode", verkündete die Miliz.
    „Ich habe nicht getötet", sagte Viktor Olegowitsch zitternd.
    „Nein, nicht Sie haben getötet, mit Ihnen wurde getötet", sorgte die Miliz für Klarheit und entließ Viktor Olegowitsch.
    Aber er ging nicht fort. Er richtete sich im Gefängnis ein, verhielt sich still und machte freudig Aussagen. Besonders gefiel ihm die Tatrekonstruktion, bei der der Gastarbeiter, um zu demonstrieren, wie es gewesen war, Viktor Olegowitsch packte, ihn hochhob und langsam dorthin senkte, wo der nun tote Student gestanden hatte.
    Dann kam der Prozess, bei dem das studentische Messer, ein zerbrochener Stuhl, der konzentrierte Viktor Olegowitsch und ein zerschlagener Bierkrug, alle in Polyäthylen eingewickelt, als Beweisstücke figurierten. Der Gastarbeiter bekam acht Jahre. Viktor Olegowitsch musste das Gefängnis verlassen und sich vom behaglichen Beruf des Beweisstücks trennen.
    Aus dem Gerichtssaal kommend, vermied Viktor Olegowitsch die Rückkehr in die Zweizimmerdespotie des Moskauer Melderechts und ließ sich in einem unordentlichen Wäldchen hinterm Stadtring nieder.
    Dort lebte er anfangs als Philosoph, doch aufgrund der Kälte und der dürftigen Beerenration verwilderte er allmählich und verübte Überfälle auf die Umgebung zwecks fleischlicher Nahrung. In den düstersten Nächten der langen Winter verschmähte er auch Menschenfleisch nicht. Als Folge dieses Missbrauchs wuchsen ihm Hörner, Hauer, ein üppiges Fell und einigen Berichten zufolge ein Schwanz, mit denen Gott Viktor Olegowitsch segnete, weil er in seiner Güte für das Überleben jeder Kreatur in unserem unerträglichen Klima sorgt.
    Gott sandte dem dergestalt zum Tier gewordenen Viktor Olegowitsch auch ein Mittel zur Befriedigung des mächtigsten irdischen Bedürfnisses, indem er ihm erlaubte, eine fruchtbare Putzfrau von einer einsamen Bahnstation zu entführen und in den Wald zu bringen. So kam Viktor Olegowitsch zu einem Weibchen und vermehrte sich unverzüglich katastrophal.
    Bereits nach zwei Jahren zählte die Population der Viktor Olegowitschs bis zu einhundert Exemplare. Die mobilen Rudel dieser unersättlichen Wesen fraßen das Moskauer Umland kahl, was zum totalen Ruin von Garten- und Gemüsebau führte.
    Schließlich erlaubten die Behörden trotz der Proteste der Grünen den Abschuss der Viktor Olegowitschs.
    Jäger aus der ganzen Welt
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