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Nahe Null: [gangsta Fiction]

Nahe Null: [gangsta Fiction]

Titel: Nahe Null: [gangsta Fiction]
Autoren: Nathan Dubowitzki
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auf die geplagte Krawatte. Nur der Wodka gelangte bis auf den letzten Tropfen ins Innere, seinem Zweck gemäß. Der Tee wurde bäuerlich geräuschvoll getrunken, mit Schlürfen, Gluckern und Schmatzen. Die Zigaretten entlockten dem Dichter nach jedem Zug pathetisches Husten. Nur der Wodka wurde geräuschlos konsumiert, feierlich und wohlbehalten.
    Agolzow dünstete, und sein Dunst verbreitete sich, zu einem höllischen Nebel geballt, im Saal. Die Models und ihre Kenner reagierten nicht sofort, hielten die alkoholischen Miasmen wohl für das Aroma eines elitären Käses oder einer Vintage-Zigarre. Doch allmählich wurden sie unruhig, wandten sich um und flüsterten.
    »Du lässt mich ziemlich hängen«, begann Jegor, den Blick auf den Ingenieur Sworykin gerichtet. Agolzow nahm als Antwort einen Schluck und kniff die Augen zusammen.
    »Sergeitsch kann nicht warten. Im Unterschied zu dir ist er Gouverneur. Er arbeitet nach Plan.«
    Agolzow nahm einen Schluck Wodka, trank Tee nach und verschüttete ein wenig auf seine Krawatte.
    »Im September steht der regionale Booker-Preis an. Den hat er selbst ins Leben gerufen, für sich. Hat Sponsoren mobilisiert und dem Volk versprochen, sich mit einem neuen Gedichtband zu bewerben. Und wo ist es, das Buch?«
    Agolzow trank, zündete sich eine Zigarette an, stöhnte und hustete.
    »Die Intelligenzija ist hin und weg. Ein dichtender Gouverneur - Dichter und Zar in einer Person. Und dann kein Buch. Sein Ranking ist in Gefahr«, redete Jegor auf Sworykin ein.
    Agolzow trank und fing, Gott sei Dank, an zu reden. Und zwar so laut, dass die Models und ihre Kenner wieder zu flüstern begannen.
     
    »>Ich träume - ich falle ... vielleicht
    von einem Damm ... oder einem Hügel...
    Über mir hoch oben in der Kindheit ein Julimorgen ...
    und unter mir - Finsternis.
    Bin ich selbst gesprungen ... ich weiß es nicht... oder
    heruntergeworfen worden,
    doch wonach ich auch greife - es ist eins:
    hundert Pud schwerer rostbrauner Herbst
    ziehen mich ... auf den Grund...
    Mich festhalten ... aufhalten, verzögern
    kann ich nicht... und jede Sekunde
    länger, tiefer - Mama, sieh!
    - ich falle ...<
     
    Und:
    >Unter Fetzen von städtischem Wind
    wächst du hervor. Durch Krach und Klatsch der Menge
    erreicht dich ein Echo der morgigen Ära
    im spöttischen Schweigen des Schicksals.
    Und dort, wo so feierlich modert
    dein Traum im überlangen September,
    auf der wie Bestürzung so leichten Kugel des Mondes
    fliegst du empor - vom Himmel auf das Leben zu schauen.
    Dann schau - sieh die agilen Harlekine,
    die strahlenden Zwerginnen, das seltene Viehzeug,
    die billigen Zauberer und Muskelprotze,
    wie sie im brennenden Zirkuszelt toben.
    Schau, wie bitter die Nacht dem Wetter zum Trotz,
    wie erbarmungslos simpel das Tagesereignis,
    wie, gefangen in deiner leeren Freiheit,
    einsam du bist - bis zu Tränen, bis auf den Grund,
    niedergebrannt.
    Schau - da ist das Leben. Schau - es vergeht. Sieh - es ist vergangen ...<
     
    Und noch eins:
    >Du solltest sehen, wie der Wind,
    der Wind gieriger Träume, wehend vom wilden Feld her,
    würzig nach Leben duftend,
    eine ganze Schar Blüten treibt
    über die Treibsande des erhitzten Mittags
    zum seicht gewordenen Regen.
    Sehen solltest du, wie die Sonne
    den Frühling freikauft aus tatarischem Himmel.
    Wenn du wüsstest, was der Preis ist
    für diesen Mai - du würdest verstehen,
    wie erhaben die Trauer, wie unerfüllbar Zärtlichkeit.
    Anders würdest du singen.
    Plötzlich würdest du sehen
    die Asche über dir und das Feuer unter dir.
    Fortlaufen würdest du aus dem Haus,
    dich besser zu verstecken,
    um nicht hier unterzugehen, dich nicht zu verschlucken an
    diesen Tränen.
    Um anders unterzugehen.<
     
    Mehr hab ich nicht.«
    »Nur drei? Das reicht nicht für ein Buch«, seufzte Jegor drohend.
    »Drei, aber dafür was für welche. Wer sagt denn, dass ein Buch viele Gedichte enthalten muss?«, knurrte Agolzow, trank, nahm einen Bissen Luft, trank erneut und hielt eine Rede. »Leckt mich am Arsch. Du und dein Sergeitsch. Gebt mir Freiheit. Steh auf, Prophet. Sergeitsch ist kein Dichter, er ist ein Gauner, und du bist sein Komplize. Ich bring euch vor Gericht, in eine Erdgrube. Der Gouverneursposten reicht ihm nicht. Nein, er will auch noch Booker-Preise abgreifen und Anti-Scheißbooker. Interviews, Bücher mit Goldprägung. Aber es sind meine Gedichte, meine, nicht seine. Sollen alle die Wahrheit hören!«
    »Stimmt, die Gedichte sind von dir. Aber es sind seine.
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