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Nahe Null: [gangsta Fiction]

Nahe Null: [gangsta Fiction]

Titel: Nahe Null: [gangsta Fiction]
Autoren: Nathan Dubowitzki
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Blick hatte er nur diese schwarzweißen Männer wahrgenommen. Sie hingegen erschien erst wie durch sie hindurch, nicht sofort, sondern als stille Überblendung, als gebrochene Zeichnung. Und erst dann - auf einmal ganz, unglaublich, außerordentlich, gebieterisch wie eine Plage: seine Liebe oder sein Untergang.
    So begann Plaksa, die schöne Katastrophe, der fürchterliche Mahlstrom, der ihn erfasste und mit wachsendem Grimm im Kreis herumschleuderte. Ihm stockte der Atem, ihm wurde mal düster, mal hell, mal zum Lachen, mal zum Fürchten. Und von den häufigen Stimmungswechseln wurde die zitternde Grenze zwischen Leben und Tod rascher porös als üblich.
    Einer der Sargmacher entpuppte sich als ein Klassenkamerad von Jegor und fertigte natürlich keine Särge, sondern trieb Handel. Mit Kerosin. Er kam zu Jegor, stellte sich vor. Jegor tat, als erinnerte er sich, obwohl er keinen Schimmer hatte. Er wurde vorgestellt und speiste in ihrer Gesellschaft weiter. Sie sagte: »Ich bin Plaksa.« Es kam ihm nicht in den Sinn, ihren richtigen Namen zu erfragen oder sich zu vergewissern, dass dieser zwar lächerlich, aber doch ihr richtiger Name war.
    Später begriff er, dass der halb imaginäre, unmnemogene Klassenkamerad respektive mittlere Sargmacher und Kerosinhändler ihr Liebhaber war. Der jüngere Sargmacher war ihr Mann, der ältere ihr Cousin, allerdings um so viele Ecken, dass er hin und wieder automatisch in die Rolle des zweiten Liebhabers abglitt.
    An jenem Abend war Jegor sehr gesprächig gewesen. Und sie genug, dass er sehen konnte, wie wenig sie zu ihm passte. Sie hatten nichts gemeinsam, absolut nichts. Doch sie war augenblicklich gepackt und würde lebendig nicht mehr loskommen. Nicht von ihm, nein, sondern von der kernexplosionsartig grellen, hyperneuen Welt seiner Liebe, die, sagenhaft schwer, die umgebende Zeit krümmte und ihre flatterhaften Gedanken magisch anzog und im Karussell umherschleuderte.
    In jenen Tagen war er gerade mühsam aus einer finsteren Scheidung herausgekrabbelt. Hatte seiner Exfrau ein Haus gekauft und für sich die auf dem windschiefen Chruschtschow-Bau errichtete Luxuswohnung fertig ausgebaut. Und war nun allein, endlich. Allein auf dem Dach, wie der fliegende Schwede mit dem Propeller aus dem Zeichentrickfilm. Er hatte das Recht erkämpft, seine Tochter zu sehen. Zwei (2) Mal die Woche. Und sah sie wesentlich seltener, aus Zeitmangel oder weil er es vergaß.
    Er wollte überhaupt niemanden lieben. Plaksa kam ganz ungelegen. So wie eine erneute Schlacht für einen über und über verwundeten, zerfetzten, verbrannten und mit Schrammen übersäten Soldaten, der, nach dem Gefecht vom Vortag gerade für eine Minute eingeschlafen, wieder geweckt und zum Kampf befohlen wird.
     

3
    An diesen »diamantenen« und bedeutsamen Ort war Agolzow von Jegor bestellt worden. Er setzte sich an einen Tisch unter einem in einen Bilderrahmen gefassten Fernsehbildschirm, der einen stellenweise recht unscharfen Dokumentarfilm über den Ingenieur Sworykin zeigte. Kauende Models, die neuesten Typen einheimischer Frauen, optisch auf den neuesten Stand gebracht und durch einen gründlichen verkaufsvorbereitenden Prozess gegangen, füllten zusammen mit Kennern und Käufern dieser Ware das Restaurant.
    Eigentlich zu diamanten für einen Alkoholiker, dachte Jegor. Doch Agolzow nach Hause einzuladen war aus hygienischen Erwägungen undenkbar. Und sich mit ihm irgendwo weiter weg treffen, sich in der Hitze irgendwohin schleppen, wollte Jegor nicht. Verschieben aber war nicht mehr möglich, denn der Kollege schuldete ihm einiges, er war stark im Verzug.
    Jegor warf einen Blick auf die Uhr des Kellners. Acht. Eine Stunde für den Schuldner. Eine Stunde für die Journalistin. Dann nach Hause - zum Chat mit Plaksa. Das klappte, wenn sich Agolzow nicht verspätete ... Plötzlich roch es scheußlich, der Schuldner kam also nicht zu spät. Jegor drehte sich um, und tatsächlich - der Dichter war da. Geschwollene Oberlippe, Akne an den Schläfen, grauer Stoppelkopf, graue Haare und Unratbröckchen in Nase und Ohren. Altersgraue Augen. Fleckige Krawatte, die anscheinend als Zahnbürste und Taschentuch benutzt worden war. Vielleicht auch als Schuhputztuch. Weiter sah Jegor ihn nicht an; während er mit ihm redete, blickte er beiseite. Er aß nichts, bestellte Wodka für Agolzow, damit der zu sich kam. Zum Wodka kaute Agolzow Luft, rauchte feuchte Zigaretten und trank heißen Tee. Die Asche rieselte und der Tee kleckerte
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