Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ende eines Sommers

Ende eines Sommers

Titel: Ende eines Sommers
Autoren: Rosemarie Pilcher
Vom Netzwerk:
1
     
     
     
     
     
    Den ganzen Sommer über war das Wetter drückend und diesig gewesen, die Hitze der Sonne wurde gedämpft von Nebeln, die unablässig vom Pazifik an Land getrieben worden waren. Aber wie so oft in Kalifornien verzogen sich die Nebel im September weit hinaus auf den Ozean, wo sie als lange dunkle Streifen den Horizont verdüsterten.
    Im Landesinnern, hinter dem Küstengebiet, brütete das Ackerland ernteschwer im Sonnenschein mit schwellenden Früchten und Mais, Artischocken und orangefarbenen Kürbissen. Kleine Dörfer voller Holzhäuser dösten und rösteten in der Hitze vor sich hin, grau und staubig wie aufgespießte Falter. Die Ebene breitete sich reich und fruchtbar nach Osten zu den Ausläufern der Sierra Nevada hin aus, und der große Freeway des Camino Real schoß durch sie hindurch wie ein Pfeil, nach San Francisco im Norden und Los Angeles im Süden, glitzernd vom heißen Stahl unzähliger Autos.
    Der Strand war während der Sommermonate leer gewesen, denn Reef Point war Endstation und wurde nur selten von Tagesausflüglern heimgesucht. Zum einen war die Straße nicht befestigt, unsicher und wenig einladend. Zum anderen lag der kleine Ort La Carmella, mit seinen bezaubernden, von Bäumen beschatteten Straßen, seinem exklusiven Country Club und den sauberen Motels gerade jenseits der Landzunge, und jeder, der Verstand und ein paar Dollars übrig hatte, blieb dort. Nur wer sehr abenteuerlustig war oder pleite, oder verrückt aufs Surfen, riskierte die letzte Meile und fuhr schlitternd über den steilen, unbefestigten Weg, der zu der vom Sturm ausgewaschenen Bucht hinunterführte.
    Aber jetzt, bei dem schönen, heißen Wetter und den sauberen Brechern, die an den Strand rollten, wimmelte es von Menschen. Autos aller Art schlingerten den Hügel hinab, parkten im Schatten der Zedern und spien Picknickfreunde, Zelter, Surfer und ganze Hippiefamilien aus, die San Francisco wieder einmal über hatten und in den Süden aufgebrochen waren, nach New Mexico in die Sonne, wie so viele Zugvögel. An den Wochenenden kamen die Universitätsstudenten von Santa Barbara herauf, in ihren alten Cabrios und ihren mit Blumenaufklebern übersäten Volkswagen, die alle vollgepackt waren mit Mädchen und Kisten voller Dosenbier, und den großen, leuchtfarbenen Malibu-Surfbrettern. Sie errichteten überall auf dem Strand kleine Lager; die Luft war erfüllt von ihren Stimmen, ihrem Gelächter und dem Geruch von Sonnenöl.
    Nach all den Wochen und Monaten, in denen wir so gut wie allein gewesen waren, umgaben uns nun Menschen und Betriebsamkeit jeglicher Art. Mein Vater arbeitete hart, er versuchte, das Drehbuch, an dem er schrieb, termingerecht fertigzustellen und war in einer unmöglichen Gemütsverfassung. Ohne daß er es bemerkte, zog ich hinaus an den Strand, nahm mir etwas zu essen mit (Hamburger und Coca-Cola), ein Buch, ein großes Badehandtuch für die Bequemlichkeit und Rusty als Gesellschaft.
    Rusty war ein Hund. Mein Hund. Ein braunes, wollenes Etwas von unbestimmter Rasse, aber hoher Intelligenz. Als wir damals im Frühjahr in das Strandhaus einzogen, hatten wir keinen Hund. Sobald er uns erspäht hatte, beschloß Rusty, diesem bedauerlichen Mangel abzuhelfen. Ich verscheuchte ihn, Vater warf alte Schuhe nach ihm, aber er kam wieder, ohne Vorwurf und ohne Arg, setzte sich ein oder zwei Yards vor der hinteren Veranda hin, lächelte und klopfte mit dem Schwanz auf den Boden. An einem heißen Morgen hatte ich Mitleid mit ihm und brachte ihm eine Schüssel mit kaltem Wasser. Er schlappte sie leer, grinste und fing wieder an, mit dem Schwanz zu klopfen. Am nächsten Tag gab ich ihm einen alten Schinkenknochen, den er artig annahm, forttrug und vergrub, nach fünf Minuten war er wieder da. Lächelnd. Klopf, klopf, ging der Schwanz.
    Mein Vater kam aus dem Haus und warf einen Stiefel nach ihm, aber ohne große Begeisterung. Es war lediglich eine halbherzige Demonstration von Macht. Rusty spürte das und rückte ein bißchen näher.
    Ich sagte zu meinem Vater: „Was glaubst du, wem er gehört?“
    „Weiß der Himmel.“
    „Er denkt offenbar, er gehöre uns.“
    „Stimmt nicht“, sagte mein Vater. „Er meint, wir gehören ihm.“
    „Er ist nicht bösartig oder sonstwas, und er stinkt auch nicht.“
    Mein Vater sah von der Zeitschrift auf, die er zu lesen versuchte. „Willst du damit sagen, daß du diesen verdammten Köter behalten willst?“
    „Es ist nur, ich weiß nicht … ich weiß nicht, wie wir
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher