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Ende eines Sommers

Ende eines Sommers

Titel: Ende eines Sommers
Autoren: Rosemarie Pilcher
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heulend der Wind durch die Ritzen in den Fensterrahmen, und in den Räumen raschelte und quietschte es seltsam wie auf einem Schiff auf hoher See. Wenn mein Vater da war, machte mir das alles nichts aus, aber wenn ich allein blieb, begann meine Einbildungskraft auf Hochtouren zu arbeiten, angeregt von all den Geschichten alltäglicher Gewalt, die ich aus den Spalten der Lokalzeitung gepickt hatte. Das Häuschen selbst war äußerst unsicher, keines der Schlösser an den Türen oder Fenstern hätte einen entschlossenen Eindringling abgehalten. Und jetzt, wo der Sommer vorbei war und die Bewohner der anderen Strandhäuser gepackt hatten und nach Hause zurückgekehrt waren, lag es vollständig von der Welt abgeschnitten. Selbst Myrtle und Bill wohnten eine gute Viertelmeile entfernt, und das Telefon war ein Gemeinschaftsanschluß und funktionierte nicht immer zuverlässig. Ich mochte gar nicht darüber nachdenken, was alles passieren konnte.
    Ich sprach nie mit meinem Vater über diese Ängste – schließlich hatte er zu arbeiten, und im großen und ganzen war er recht scharfsichtig. Ich bin sicher, er wußte, daß ich mich in einen Zustand heilloser Angst hineinsteigern konnte. Das war wohl einer der Gründe, weshalb er zuließ, daß ich Rusty behielt.
    An jenem Abend, nach dem Tag am überfüllten Strand, dem fröhlichen Sonnenschein und meiner Begegnung mit dem jungen Studenten aus Santa Barbara, schien mir das Strandhaus verlassener denn je.
    Die Sonne war hinter dem Saum des Meeres verschwunden, eine Abendbrise erhob sich, und es würde bald dunkel sein. Deshalb zündete ich ein Feuer an, um mich weniger allein zu fühlen, schichtete unbekümmert Treibholz im Kamin auf, tröstete mich mit einer heißen Dusche, wusch mein Haar und ging dann, in ein Handtuch gehüllt, in mein Zimmer, um saubere Jeans und einen alten weißen Pullover anzuziehen, der meinem Vater gehört hatte, bevor ich ihn aus Versehen hatte einlaufen lassen.
    Unter dem Bordellspiegel stand ein lackiertes Schränkchen, das als Frisierkommode dienen mußte. Darauf hatte ich, aus Mangel an anderen Möglichkeiten, meine Fotografien aufgestellt. Es waren zahlreiche Fotos, und sie beanspruchten viel Platz. Meistens schenkte ich ihnen nicht viel Beachtung, aber an diesem Abend war es anders. Während ich mein verfilztes nasses Haar auskämmte, betrachtete ich sie genau, eines nach dem anderen, als gehörten sie einer Person, die ich kaum kannte, und als wären darauf Orte dargestellt, die ich nie gesehen hatte.
    Da war meine Mutter, auf einem offiziellen Porträt, in Silber gerahmt. Mutter mit bloßen Schultern, Diamantsteckern in den Ohren und von einem teuren Friseur frisch zurechtgemacht. Ich liebte das Bild, aber es entsprach nicht meiner Erinnerung an sie. Das andere war besser, ein vergrößerter Schnappschuß bei einem Picknick, wo sie ihren Schottenrock trug, bis zur Taille im Heidekraut saß und lachte, als ob gleich irgend etwas furchtbar Komisches passieren würde. Und dann war da die Sammlung – eher eine Collage –, mit der ich beide Seiten eines großen zusammenklappbaren Lederrahmens gefüllt hatte. Elvie, das weiße Haus, vor dem Hintergrund eines kleinen Wäldchens, dahinter erheben sich die Berge, der See glitzert am Ende des Rasens, wo der Anlegesteg ist und das lecke alte Dingi lag, das wir benutzten, wenn wir Forellen fischen gingen. Und meine Großmutter, an der offenen Fenstertür, die unvermeidliche Gartenschere in der Hand. Und eine kolorierte Postkarte von Elvie Loch, die ich im Postamt von Thrumbo gekauft hatte. Und ein weiteres Picknick, auf dem meine Eltern zusammen zu sehen waren, unser altes Auto im Hintergrund und ein dicker, rot-weißer Spaniel zu Füßen meiner Mutter.
    Außerdem waren da die Fotografien von meinem Vetter Sinclair, Dutzende von Fotos. Sinclair, mit seiner ersten Forelle, Sinclair im Kilt, vor irgendeinem Ausflug, Sinclair in einem weißen Hemd, als Kapitän der Cricket-Mannschaft seiner Schule. Sinclair, beim Skilaufen, am Steuer seines Wagens, mit einem Papierzylinder und ein bißchen betrunken bei irgendeiner Silvesterparty. (Auf dieser Fotografie hatte er seinen Arm um ein hübsches dunkelhaariges Mädchen gelegt, aber ich hatte die Bilder so angeordnet, daß man sie nicht sah.)
    Sinclair war das Kind des Bruders meiner Mutter, Aylwyn. Aylwyn hatte – nach Ansicht aller anderen viel zu jung – ein Mädchen namens Silvia geheiratet. Diese Wahl wurde von der Familie mißbilligt, und zwar aus guten
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