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Ende eines Sommers

Ende eines Sommers

Titel: Ende eines Sommers
Autoren: Rosemarie Pilcher
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Hunderten riesiger Sommersprossen. Außerdem bin ich zu groß für ein Mädchen, und die Knochen in meinem Gesicht stehen alle hervor.
    „Er muß ja ein ziemlich ausgefallener Typ sein.“ Ein neuer Ausdruck war in sein Gesicht getreten, eine Mischung aus Verwirrung und Fragen, die er offenbar aus Höflichkeit nicht stellte.
    Wenn du Rufus Marshs Tochter bist, wie kommt es, daß du an diesem gottverlassenen Strand im hintersten Kalifornien herumsitzt, geflickte Jeans und ein Männerhemd anhast, das schon vor Jahrzehnten in die Lumpenkiste gehört hätte, und nicht einmal genug Dollars zusammenkratzen konntest, um dir ein Surfbrett zu kaufen?
    Es war schon zum Lachen, wie deutlich man ihm seine Gedanken ansehen konnte. Schließlich fragte er: „Was für ein Mensch ist er denn so? Ich meine, außer daß er ein Vater ist?“
    „Ich weiß nicht.“ Ich konnte ihn nie beschreiben, nicht einmal für mich selbst. Ich nahm eine weitere Handvoll Sand, ließ ihn zu einem Miniaturberg rinnen, drückte meine Zigarette auf seiner Spitze aus und formte so einen kleinen Krater, einen winzigen Vulkan mit dem Zigarettenstummel als rauchendem Inneren. Ein Mann, der immer in Bewegung sein muß. Ein Mann, der leicht Freundschaften schließt und sie am folgenden Tag ebenso schnell verliert. Ein streitsüchtiger und kampflustiger Mann, talentiert, wenn nicht genial, dem die kleinen Probleme des täglichen Lebens aber ein völliges Rätsel sind. Ein Mann, der bezaubern und einen zur Weißglut treiben kann. Ein Widerspruch auf zwei Beinen.
    Ich sagte noch einmal: „Ich weiß nicht“ und wandte mich dem Jungen neben mir zu. Er war nett. „Ich würde dich ja zu einem Bier nach Hause einladen, dann könntest du ihn kennenlernen und es selbst herausfinden. Aber er ist gerade in Los Angeles und kommt vor morgen früh nicht nach Hause.“ Er dachte darüber nach und kratzte sich gedankenverloren am Hinterkopf, wobei er einen kleinen Sandsturm auslöste. „Weißt du, was“, sagte er, „wenn das Wetter so bleibt, komme ich nächstes Wochenende wieder.“
    Ich lächelte. „Wirklich?“
    „Ich werde nach dir Ausschau halten.“
    „In Ordnung.“
    „Ich bringe noch ein Brett mit, das ich übrig habe. Dann kannst du surfen.“
    „Du brauchst mich nicht zu bestechen.“
    Er tat, als sei er beleidigt. „Was meinst du mit bestechen?“
    „Ich nehme dich nächstes Wochenende mit, damit du ihn kennenlernst. Er hat gern neue Gesichter um sich.“
    „Ich wollte dich nicht bestechen. Ehrlich.“
    Ich gab nach. Außerdem wollte ich gern surfen. „Ich weiß“, sagte ich.
    Er grinste und drückte seine Zigarette aus. Die Sonne sank dem Meeresspiegel entgegen, nahm Gestalt und Farbe an und wurde zu einem orangefarbenen Kürbis. Er setzte sich auf, kniff gegen das grelle Licht seine Augen zusammen, gähnte leicht und streckte sich. „Ich muß gehen“, sagte er, stand auf und zögerte einen Augenblick, als er vor mir stand. Sein Schatten schien sich endlos auszudehnen. „Wiedersehen dann.“
    „Wiedersehen.“
    „Nächsten Sonntag.“
    „Okay.“
    „Das ist eine Verabredung. Nicht vergessen.“
    „Vergesse ich schon nicht.“
    Er drehte sich um, sammelte seine Klamotten auf und sah sich noch einmal um, bevor er davonging, am Strand entlang, dorthin wo die alten, sandverwehten Zedern den Weg markierten, der zur Straße hinaufführte.
    Ich sah ihm nach, und mir wurde bewußt, daß ich seinen Namen nicht kannte. Und, was noch schlimmer war, er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, nach meinem zu fragen. Ich war einfach Rufus Marshs Tochter. Aber trotzdem, wenn das Wetter so blieb, würde er nächsten Sonntag vielleicht wiederkommen. Wenn das Wetter so blieb. Immerhin etwas, worauf man sich freuen konnte.

2
     
     
     
     
     
    Der Grund dafür, daß wir in Reef Point wohnten, war Sam Carter. Sam war der Agent meines Vaters in Los Angeles, und als er schließlich anbot, uns eine billige Unterkunft zu suchen, tat er das aus schierer Verzweiflung, denn Los Angeles und mein Vater waren einander so heftig zuwider, daß er kein verkäufliches Wort schreiben konnte, solange wir dort wohnten. Sam lief also Gefahr, sowohl wertvolle Kunden als auch Geld zu verlieren.
    „Es gibt da dieses Haus in Reef Point“, hatte Sam gesagt. „Es ist eine gottverlassene Gegend, aber wirklich friedlich … so friedlich wie am Ende der Welt“, fügte er hinzu und beschwor damit Visionen einer Art gauguinschen Paradieses.
    Und so hatten wir das Strandhaus
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