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Nackt

Nackt

Titel: Nackt
Autoren: David Sedaris
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soll man machen?»
    Ein geschwärzter Pilz fiel meiner Gastgeberin aus dem Mund und blieb auf ihrer Büste liegen.
    Roberta – und alle anderen, die ich hier kennenlernte, hatten das auch – hatte noch etwas Größeres und Definitiveres an sich als nur die Nacktheit. Die Leute waren Briefmarkensammler und Gärtner, Funkamateure, ehrenamtliche Krankenpfleger und Haustierhalter im großen Stil. Es war nicht anders als anderswo, nur dass diese Menschen, wenn sie ihre Passionen beschrieben, zufällig nackt waren. Sie lebten in Dosen und nicht in Häusern und priesen sich glücklich, wenn ihnen ein warmer, sonniger Tag es erlaubte, ihr Heim zu verlassen und unter Menschen zu wandeln, die in mindestens einem Punkt Gleichgesinnte waren. Das ist doch nicht zu viel verlangt, und wenn ihnen etwas Katzenstreu ins Omelette geraten sein sollte, dann sei es so.
    Der Nudismus brachte mich nicht dazu, meinen Körper zu lieben, er gestattete mir lediglich, meinen Platz im Großen Plan zu erkennen. Setzen Sie sich neben einen Achtzigjährigen, und Sie sehen den schlaffen, altersfleckigen Körper, der Sie erwartet. Anstatt in Panik zu verfallen, scheine ich angesichts dieser Wahrheit ruhiger zu werden. Inmitten einer Vielzahl nackter Fremder zum Klubhaus marschierend, fand ich, dieser Vorgang sollte im Off von einer jener gedämpften Gelehrtenstimmen kommentiert werden, wie sie im Fernsehen bei Natursendungen Verwendung finden.
    Ich hatte vorgehabt, mit dem Taxi zum Busbahnhof zu fahren, aber Jacki und Millie boten mir an, mich hinzufahren. Es war das erste Mal in dieser Woche, dass ich mich anziehen musste. Man hatte nicht mehr die Wahl, sondern es war Pflicht, und ich stellte fest, dass mich das ärgerte. Man lasse seine Hose kaltwerden und schon gibt es Ärger. Wir fuhren in die Stadt und zupften an unseren Klamotten. Jacki hatte einen Aufkleber an ihrem Auto – «FKKler an Bord!» –, und ich bemerkte, wie andere Autofahrer dicht auffuhren, bevor sie überholten, wobei sich in ihren Gesichtern tiefe Enttäuschung spiegelte. Wären wir nackt gewesen, hätten sie wahrscheinlich Blut gespien. Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass Nudisten so ziemlich die letzten Menschen sind, die man jemals nackt sehen möchte.
    Während der Fahrt in die Stadt stellte Millie Überlegungen über den bevorstehenden Sonnenanbeter-Kongress an, der nächste Woche in Massachusetts stattfinden sollte. «Da habe ich Phil geheiratet», sagte sie unter Bezugnahme auf ihren zweiten Gatten. «Meine vier Söhne waren Brautführer, so nackt und schön, wie man sie sich nur wünschen konnte. Wir haben immer so viel Spaß miteinander gehabt, meine Kinder und ich. Überall waren wir, im FKK-Gelände und an Nacktstränden, aber dann wurden sie älter und haben textilorientierte Mädchen geheiratet, die nichts mit meinem Lebensstil zu tun haben wollen.» Sie schüttelte den Kopf und betrachtete missmutig die vorbeiziehende Landschaft. «Warum mussten sie solche Mädchen heiraten? Da versucht man, anständige Menschen aus ihnen zu machen, und dann das.»
    Dies war die Klage aller Eltern. Da versucht man und dann das. Jacki hatte das gleiche Problem: Die Kinder, die sie nackt großgezogen hatte, gaben jetzt ihr ganzes Geld für Klamotten aus. Sie hatten sich noch nicht einmal ihren neuen Wohnanhänger angesehen. Wie war es passiert? Wann hatten sie entschieden, dass es falsch war, ihre Mutter nackt zu sehen, wie sie am Spülstein steht oder niederkniet, um den Mülleimer feucht auszuwischen? Hatte irgendwann ein Schlüsselerlebnis stattgefunden?
    «Ich weiß es auch nicht», sagte Millie. «Vielleicht frage ich sie, wenn sie nächstes Mal Geld wollen.»
    Die Frauen setzten mich am Busbahnhof ab, ich hatte noch zwanzig Minuten Zeit, rannte die Straße auf und ab, kam an College-Studenten in halblangen Schlabberhosen und an Bankbeamten in marineblauen Anzügen vorbei. Zum ersten Mal seit, wie es mir vorkam, Jahren sah ich Strümpfe und Handtaschen. Körper, dick und dünn, waren in Hosen und Faltenröcke gepackt. Jeder Outfit ähnelte einem Kostüm, eigens zu dem Zweck entworfen, die Ziele, Hoffnungen und Sehnsüchte des Trägers zu enthüllen. Der junge Mann auf dem Bürgersteig wäre gern, sobald Skateboard fahren als olympische Disziplin zugelassen wird, in der betreffenden Nationalmannschaft. Das Mädchen mit dem Kunststoffrock wäre liebend gern in einer größeren Stadt. Ich merkte, wie ich diese Menschen ansah und dachte: Ich weiß, wie du nackt aussiehst.
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