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Nackt

Nackt

Titel: Nackt
Autoren: David Sedaris
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Blinzeln eine Träne. «Meine gottverdammten Titten sind mir schon halbwegs auf die Knie gesackt, Fettrollen hängen links und rechts vom Stuhl herunter, aber scheiß doch der Hund drauf; Hauptsache, mir geht’s gut, oder?» Ohne Vorwarnung packte sie mein sonnverbranntes Gesicht und barg es an ihrer Brust. Eine fingerhutgroße Brustwarze stach mir ins Auge, sie hielt mich fest und wiegte meinen Kopf, als wäre er ein Baby.
    Mir ist aufgefallen, dass die FKKler, wenn sie gezwungenermaßen in die Stadt gehen, in angekleidetem Zustand einen schäbig-exzentrischen und unbehaglichen Eindruck machen, wie Katzen, die man für ein bescheuertes Foto herausstaffiert hat. Sie krallen sich an ihren Knöpfen und Reißverschlüssen fest, ihre Augen sind wild und verzweifelt. Weil Kleidung sie nicht interessiert, sind die meisten imstande, alles zu tragen: Streifen mit Karos; Hosen, drei Größen zu groß oder zu klein …; es ist ihnen schlicht wurscht. Heute Morgen habe ich eine Frau gesehen, die ihr Sweatshirt wie eine Toga trug, das Loch für den Kopf unterm Arm, um eine Brust freizulegen. Ich habe viele Trainingsanzüge gesehen, und viele Paare neigen dazu, einen Trainingsanzug als zwei verschiedene komplette Outfits anzusehen. Wenn es morgens noch kühl ist, trägt die Frau das Unter-, der Mann das Oberteil. Ich frage mich, ob es nicht die totale Unfähigkeit ist, sich einigermaßen passend einzukleiden, was sie überhaupt zu Nudisten werden ließ. Wenn man aus New York hierherkommt, ist es ermutigend, einen Raum zu betreten, ohne nach der Kleidung beurteilt zu werden. Trotzdem, so schlecht ich mich auch anziehe: Alles ist angenehmer, als nach meinem Charakter beurteilt zu werden.
    Heute Abend findet die geplante Penner-Party statt, und wir wurden angewiesen, bis Mittag eine Dose mit Gemüse zum Pavillon zu bringen. Ich nahm die einzige Dosenkonserve, die ich im Lebensmittelladen gekauft hatte, und trug sie hügelab, wo ich zwei nackte Frauen mit Kochmützen traf, die in einem Kessel mit Hackfleisch und Wasser rührten.
    «Bete, dass keiner mehr mit Mais ankommt», sagte die dickere von beiden. «Der Mais kommt uns ja jetzt schon sonst wo raus.»
    Ich stellte meine Dose Mais ab und fragte, was sie mit «inkl. Große Plörre» gemeint hätten.
    «Eine Suppe. Das hier ist der Fond, und wir kippen alles rein, was die Leute mitbringen, wie, zum Beispiel in deinem Fall, Mais. Gegen fünf haben sich dann alle als Landstreicher verkleidet und wir essen aus Blechbüchsen. Es gibt sogar einen Preis für das beste Kostüm. Das wird lustig. Du wirst schon sehen.»
    Als ich am Abend zur Penner-Party inkl. Große Plörre zurückkehrte, aßen fast hundert Menschen aus Büchsen. Ein Mann hatte sich Holzkohle auf die Wangen geschmiert. Er trug einen Schlips und einen zerfetzten Sportsakko und hatte einen Spazierstock da- bei, an dem er eine Einkaufstüte aus Plastik befestigt hatte. Alle anderen waren nackt, also bekam er den Preis für das beste Kostüm.
    Beim Essen sprach ich mit einer kleinen Oben-ohne-Mutter von vier erwachsenen Kindern und die sagte zu mir: «Ach, du hättest letztes Jahr beim Puddingwerfen dabei sein sollen.»
    «Wie bitte?» Puddingwerfen. Ich dachte, das wäre vielleicht der nudistische Ausdruck für ein Jeder-bringt-was-mit-und-isst-was-auf-den-Tisch-kommt-Diner. Pudding sperrt sich doch eher dem Geworfen-werden, oder? «Nein, nein, werfen kann man ihn, man kann ihn nur nicht fangen!» Sie lachte in sich hinein und wischte ihre Blechbüchse mit einer Scheibe Brot aus. «Wir machen den Pudding in mehreren Fünfgallonenzubern und tragen ihn aufs Feld und da kämpft dann die Schokoladenmannschaft gegen die Vanillen. Man greift einfach voll rein und schmeißt ihn auf die anderen und das hat ja einen solchen Spaß gemacht. So einen Spaß! Bienen und Fliegen hatten den Platz in den nächsten Wochen ziemlich für sich selbst. Viele sind auch gestochen worden, deshalb machen wir es dies Jahr nicht wieder.» Sie musterte kurz die Rinde ihrer Scheibe Brot. «Immer wieder denke ich, wenn wir vielleicht Diät-Pudding genommen hätten, wäre das nicht passiert, aber nein, nein, ich darf einfach nicht mehr dran denken und muss mich anderem zuwenden. Was vorbei ist, ist vorbei.»
    Ihr Mann tätschelte ihr sanft die Hand. Ihr Kummer war so real, dass man meinen konnte, sie hätte ein Kind eingebüßt – und nicht die Gelegenheit, mit einer Handvoll Pudding um sich zu schmeißen. Heute ist Sonntag, und wenn ich aus dem
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