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Nackt

Nackt

Titel: Nackt
Autoren: David Sedaris
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reden hören. Wir geben anonym, denn die Waschkörbe voller Dankschreiben, in unbeholfener Handschrift und hoffnungsloser phonetischer Orthographie abgefasst, brechen uns schier das Herz. Wenn sich herumspricht, dass wir großzügig und gutaussehend sind, wird der Platz vor unserem Portal hast-du-nicht-gesehen zum Zeltplatz für Moderedakteure und verkrüppelte Kinder, die mit ihren spitzen Krücken den Rasen ruinieren. Nein, man tut, was man kann, aber mit so wenig Fanfare wie möglich. Sie werden uns nie von Festwagen herunter winken oder neben Seiner Exzellenz, dem Großen Brimborius, einher marschieren sehen, denn damit würden wir nur die allgemeine Aufmerksamkeit auf uns lenken. Ja, man sieht die Schranzen, wie sie dies tagaus, tagein betreiben, aber so was ist billig und närrisch und eines Tages werden sie die Folgen ihrer Narretei zu büßen haben. Sie hungern nach etwas, wovon sie nichts wissen, wir dagegen, wir wissen nur zu gut, dass der Preis des Ruhms der Verlust des Privatlebens ist. Öffentliche Zurschaustellung von Glück ermuntert nur die vielen Entführer, welche die beraubten Grundstücke unserer besseren Wohngegenden durchstreifen.
    Als es meine Schwestern erwischte, zerknüllte mein Vater die Lösegeldforderung und warf sie in die ewige Flamme, welche neben dem mumifizierten Pilgervater brennt, den wir im Speisesaal unseres Sommerhauses in Olfactory aufbewahren. Wir verhandeln nicht mit Kriminellen; das ist in unserem Charakter nicht angelegt. Hin und wieder denken wir an meine Schwestern und hoffen, dass es ihnen gut geht, aber wir halten uns nicht länger damit auf, da dies nur den Entführern nützt. Fürs erste sind meine Schwestern zwar weg, aber, wer weiß, vielleicht kehren sie eines Tages zurück, vielleicht wenn sie älter sind und selbst Familie haben. Bis dahin lebe ich als Einzelkind und einziger Erbe des nicht unbedeutenden elterlichen Vermögens. Einsam? Manchmal. Mir bleiben immer noch Mutter und Vater, sowie, natürlich, die Dienstboten, von denen einige außerordentlich schlau sind, wenn man einmal von ihren schiefen Zähnen und mangelhaften Manieren absieht. Erst neulich war ich mit Duncan im Stall, als …
    «Lass doch endlich um des lieben Himmels willen», sagte meine Mutter und tunkte wild ihren Holzlöffel in einen Kessel mit Rinderbrühe aus geschnittenem Rauchfeisch, «diese verdammte Katze zufrieden, bevor ich dich auch noch kratze. Es ist schon schlimm genug, dass du sie aufgerüscht hast wie eine Zweidollarhure. Zieh ihr das Kostüm aus und lass sie los, bevor sie auch noch abhaut wie die Katze davor.»
    Mit der freien Hand rückte ich meine Brille zurecht und erinnerte sie daran, dass die Katze davor von einem Auto überfahren worden war.
    «Sie hat sich absichtlich überfahren lassen», sagte meine Mutter. «Es war ihr einziger Ausweg und du hast sie mit deinem Scheißdreck über die Kennedys und dass du mit ihnen Hochrippe gespeist hättest oder worüber du an dem Tag gerade gejammert hast, in den To d getrieben. Jetzt lass sie endlich los. Danach möchte ich, dass du in den Hintergarten rennst und deine Schwestern aus dem Graben holst. Bei der Gelegenheit kannst du auch deinen Vater suchen. Wenn er nicht unter seinem Auto liegt, arbeitet er wahrscheinlich an der Klärgrube. Sag ihnen, sie sollen ihren Arsch zu Tisch bewegen, oder sie kriegen meine gottverdammte Faust zum Abendessen.»
    Es war nicht so, dass wir arm gewesen wären. Meinen Eltern zufolge waren wir weit davon entfernt, nur nicht weit genug, um meine Bedürfnisse zu befriedigen. Ich wollte eben lieber ein Haus mit einem Burggraben statt mit einem Zaun. Um nachts einigermaßen schlafen zu können, brauchte ich einen nach uns benannten Flughafen.
    «Du bist ein Snob», sagte meiner Mutter immer. «Da hast du dein Problem, schön handlich verpackt. Ich bin unter Menschen wie dir aufgewachsen und weißt du was? Ich konnte sie nicht ausstehen. Niemand konnte sie ausstehen.»
    Egal was wir hatten – das Haus, die Autos, die Ferien –, es war nie genug. Irgendwo war ein schrecklicher Fehler gemacht worden. Das Leben, das ich führen musste, war eine einzige Zumutung, aber nie gab ich die Hoffnung auf, dass eines Tages meine echte Familie auftaucht und mit weißbehandschuhtem Finger auf den Klingelknopf drückt. Dann schreien alle: «Ach, Graf Meißelkinn» und schmeißen zur Feier des Tages ihre Zylinderhüte hoch in die Luft, «Gott sei Dank, dass wir Sie endlich gefunden haben.»
    «Das wird nie
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