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Nackt

Nackt

Titel: Nackt
Autoren: David Sedaris
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Rauchfeisch
    I ch erwäge, die Dienstboten zu ersuchen, dass sie mein Kleingeld polieren, bevor sie es in das chinesische Aquarium tun, welches ich auf der Frisierkommode stehen habe. Es ist wichtig, sauberes Geld zu haben –, nicht neu, aber gepflegt. Das ist einer der Glaubenssätze meiner Kirche. Es handelt sich da nicht um meine persönliche Kirche, sondern um die Kirche, welche ich mit meiner Familie besuche: die Kathedrale der Funkelnden Natur. Sie ist jenes gewaltige Bauwerk mit den Türmen und Glocken und Statuen, welche gemeines Volk darstellen, die sich anschicken, von den Zinnen zu springen. Es werden auch Führungen veranstaltet und an jedem ersten Sonntag im Oktober ist Tag der offenen Tür. Kommen Sie doch auch mal! Aber lassen Sie Ihren Fotoapparat zu Hause, denn das Blitzlicht macht die Pferde scheu, und das stellt für mich und meine Eltern eine furchtbare Bedrohung dar, besteht der Pfarrer doch darauf, dass wir unsere Plätze in der ersten Bankreihe einnehmen. Unlängst rief er uns an, beschwipst – er ist ein kleiner Schluckspecht –, und sagte, unsere Gesichter führten ihn näher an Gott heran. Und es stimmt, wir sind schrecklich gutaussehende Menschen. Das Profil meiner Mutter ziert die neuen Schwebebahn-Wertmünzen, und was meinen Vater und mich betrifft, so planen die Leutchen bei der NASA eine Mondkapsel, die nach unserer Schädelform konstruiert werden soll. Unsere Wangenknochen sind aeronautisch und unsere Kinngrübchen haben ein Fassungsvermögen von bis zu drei Dutzend Luftgewehrkugeln gleichzeitig. Auf Befragen antworten die meisten Menschen, meine Haut sei mein größter Aktivposten, weil sie – was sie tatsächlich tut! – strahle. Ich muss mir die Augen mit einer Socke verbinden, um nachts einschlafen zu können. Andere mögen meine Augen oder meine vollkommenen, schimmernden Zähne, mein volles Haar oder meine beeindruckende Gestalt, aber wenn Sie Wert auf meine Meinung legen, so finde ich meine hervorstechendste Eigenschaft die Fähigkeit, ein Kompliment zu ertragen.
    Weil wir so schlau sind, können meine Eltern und ich durch Menschen hindurchgehen, als wären sie aus hartem, klarem Kunststoff. Wir wissen, wie sie nackt aussehen, und können das verzweifelte innere Getriebe ihrer Herzen, Seelen und Eingeweide sehen. Jemand quatscht mich mit «Na, wie läuft’s, Großer?», an, und ich kann seinen Neid riechen, sein unbeholfen tastendes Verlangen, meine Zuwendung durch eine beiläufige und unangemessene Volkstümlichkeit zu erringen, bei der sich mir vor Mitleid der Magen umdreht. Wie läuft’s; wenn ich das schon höre. Sie wissen nichts über mich und meine Art zu leben und die Welt wimmelt von solchen Leuten.
    Nehmen Sie zum Beispiel den Pfarrer, mit seinen zitternden Händen und seiner wächsernen Hauthülle. Er ist nicht komplexer als eins dieser fünfteiligen Holz-Puzzles, die man Idioten und Schulkindern gibt. Er möchte, dass wir in der ersten Reihe sitzen, damit wir die anderen Kirchgänger nicht ablenken, die sich sonst ständig auf ihrer Bank umdrehen, sich den Hals verrenken würden, um unsere physische und spirituelle Schönheit zu bewundern. Unsere gute Erziehung verzaubert sie und sie wollen aus erster Hand sehen, wie wir mit unserer Tragödie fertigwerden. Wohin wir auch gehen, überall stehen meine Eltern und ich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. «Sie sind’s! Seht nur, dort ist der Sohn! Berührt ihn, grabscht nach seinem Schlips, nach einer Locke von seinem Haupthaar, nach irgendwas!»
    Der Pfarrer hatte gehofft, er würde, wenn er seine Predigt zu Pferde hielt, ein wenig Aufmerksamkeit zurückerlangen, aber selbst mit Lasso und einem Gespann tänzelnder Clydesdale-Kaltblüter war sein Plan zum Scheitern verurteilt. Immerhin blickt jetzt, da wir in der ersten Reihe sitzen, die Gemeinde nach vorn und das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wenn es dazu dient, die Menschen näher an Gott heranzuführen, kauern wir auch gern auf den Orgelpfeifen, oder wir schnallen uns an das original Cromargan-Kreuz, welches über dem Altar hängt. Wir würden so ziemlich alles tun, denn bei aller Unbill, die wir jüngst durchlitten, besteht unsere vornehmste Pflicht darin, anderen zu helfen. Die Innenstädtische Picknick-Stiftung, unsere jährliche Sternfahrt «Kampf dem Kopfweh!», das der Nachsorge bei Polo-Verletzungen gewidmete Seitengebäude im hiesigen Allgemeinen Krankenhaus –: Unsummen stiften wir für wohltätige Zwecke, doch werden Sie uns nie darüber
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