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Nackt

Nackt

Titel: Nackt
Autoren: David Sedaris
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Aufschrift BEHINDERTENPARKPLATZ stehen. Es ist ehernes Gesetz, dass man nicht nur im Schwimmbecken, sondern auch um das Schwimmbecken herum nackt sein muss. Das fand ich ziemlich hart. Ich hatte nur T-Shirt und Turnschuhe an, aber diese Dinge bedeuteten mir unendlich viel, denn ohne sie war ich ein Irrer. «Der Doktor kommt gleich», sagte ich zu mir selbst. «Legen Sie einfach Ihr Handtuch auf den Liegestuhl, ziehen Sie Schuhe und Hemd aus, und dann kommt er mit dem Beruhigungsmittel, sobald er mit den anderen Patienten fertig ist.»
    Ich zog mein T-Shirt aus, und da war ich, nackt, leichte Beute für tieffliegende Überwachungsflugzeuge. Nackt am helllichten Tag, umgeben von Fremden, die sich vom Rücken auf den Bauch rollten und die Seiten ihrer Bücher und Zeitschriften umblätterten. Immerhin brauchte ich mich nicht selbst anzusehen. Es gab keine Spiegel oder Tafelglasfenster, und solange ich stramm geradeaus blickte, konnte ich, dachte ich, mich mählich mit meiner öffentlichen Nacktheit abfinden. Ich hatte mich gerade an diesen Gedanken gewöhnt, als sich mir ein Mann namens Dusty näherte, der an seinem mützenlosen Mützenschirm mit Wäscheklammer ein Stück Pappe befestigt hatte, um dessen schattenspendende Eigenschaften noch zu erweitern. Der Mann war vornüber gekrümmt, von Osteoporose gezeichnet, Rücken und Schultern glänzten dunkelbraun wie feines italienisches Leder, während der Bauch aus Mangel an Sonne weiß geblieben war. Sein volles graues Haar trug er kurzgeschnitten, sowie, zu meinem Entsetzen, eine Sonnenbrille mit verspiegelten Gläsern, welche mit großer Deutlichkeit den Anblick meiner bleichen, zappeligen Nacktheit reflektierten. Ich stellte ihm eine Frage zum Thema Whirlpool, und zwanzig Minuten später ließ er sich immer noch über die Aufteilung seines Heimatorts in Gewerbe-, Geschäfts- und Wohngebiete aus. «Ich glaube nicht, dass sie juristisch das Recht haben, da ein Lebensmittelgeschäft hinzustellen, weil die Gegend nicht als Geschäftsgebiet ausgewiesen ist. Früher gab es da ja einen kleinen Tante-Emma-Laden, wo man Brot und Brause und so fort kaufen konnte, aber der wurde geschlossen und zu einer kleinen Kirche umgewidmet, wo die Erweckungsprediger, die mit Schlangen arbeiten, auftreten können. Man könnte natürlich ein Haus mit Eigentumswohnungen hochziehen, aber da muss man erst beim Stadtrat nachfragen, ob es da irgendwelche Beschränkungen nach oben gibt. Ich vermute mal, wenn der Komplex groß genug ist, lassen sie da wahrscheinlich einen Lebensmittelladen zu, aber keinen großen, weil das Umfeld nicht ausdrücklich als Geschäftsgebiet ausgewiesen ist.»
    Hatte ich mich irrtümlich als Grundstücksspekulant vorgestellt? Warum musste er mich unbedingt ansehen, wenn er mit mir sprach?
    «In der Großstadt kann man sich natürlich, denke ich mal, einen siebenstöckigen Bienenkorb aus Glas und Beton hochziehen, wenn man genug Geld hat, alle zu bestechen. So läuft das doch da, wo du herkommst; alles geht, wenn man die nötigen Barmittel besitzt. Und dann kommst du hierher und glaubst, wir sind alle nur ein Haufen stumpfsinniger Hinterwäldler!» Er sabberte, fuhr sein Gesicht zu einem unheimlichen, übertriebenen Grinsen aus und ließ die Zungenspitze einmal komplett um seinen Mund gleiten. «Wir sind eine Bande von Bauerntölpeln, stimmt’s?»
    Tja, Dusty, wo du gerade das Gespräch darauf bringst …
    Er wedelte mit den Händen, als wolle er mich verzaubern. «Dir seid ja alle so herrlich intellektuell, wie ihr da in euren kleinen Cafes sitzt und zum Empire State Building hinaufblickt, während wir hier im Heuhaufen liegen und Maiskolbenpfeife rauchen. So ist es doch, oder?»
    Er war gleichzeitig feindselig und neckisch, und diese Einstellung teilten viele, die ich bisher kennengelernt hatte. Ich hätte problemlos aus einer militanten Moslemnation kommen können, aber bei New York schien den Leuten irgendwas gegen den Strich zu gehen. Dies war ein Camping- und Spaßplatz für die ganze Familie, und New York war, für viele von ihnen, ein Ort, an dem gesunde Familien regelmäßig aus Sport abgeknallt wurden. Ich konnte mir ein Bein ausreißen und einen Wohnanhänger bewundern oder die Landschaft preisen, aber es reichte nie. Dustys Hänger war in der Nähe geparkt und ich machte ihm ein Kompliment für seinen gepflegten Vorgarten. «Ganz hübsch, was?», sagte er.
    «Sehr hübsch.»
    «Was hältst du von der Kloschüssel, die ich als Blumentopf verwende?»
    «Eine
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