Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Draculetta: Eine Bestürzung in Transsylvanien (German Edition)

Draculetta: Eine Bestürzung in Transsylvanien (German Edition)

Titel: Draculetta: Eine Bestürzung in Transsylvanien (German Edition)
Autoren: Stephanie Reimertz
Vom Netzwerk:
 
     
     
     
     
     
     
     
     
    1
     
     
    Von frühester Kindheit an wollte ich Frauenarzt in Paris werden. Der Grund ist einfach: Ich wollte mehr von der Welt sehen als andere Sterbliche. Die Faszination, die ich für alles Dunkelweibliche, allen Geheimniskram empfand, begann schon in den Jahren, da ich aus dem Reich der Dunkelheit erst vor kurzer Zeit herausgezogen worden war.
    Bis zu meinem siebenten Lebensjahr war ich krank. Ein kleines Klappergestell war ich, das weder stehen noch gehen konnte. Meinen Eltern war ich ein Rätsel, und den Ärzten auch. Das größte Rätsel war ich mir selbst. Ich mußte das Bett hüten, konnte nicht zur Schule gehen und wurde zu Hause unterrichtet. Weil ich so viel liegen mußte, dachte ich Tag und Nacht über den Ewigen Schlaf und die Auferstehung der Toten nach. Das Leben erschien mir als großes schwarzes Loch. Es unterschied sich gar nicht von dem Tod. Die meiste Zeit steckte ich den Kopf unter das Kissen und versuchte die große Leere, die ich war, ganz zu empfinden, ganz auszufüllen. Bisweilen in den frühen Morgenstunden bekam diese Leere auch etwas Schmerzliches, Süßes.
    Dann, plötzlich , an meinem siebenten Geburtstag, war es, als hätte jemand gesagt: Steh auf und geh! Ich tat, wie mir geheißen. Die Ärzte sprachen von einer Spontanheilung.
    In der Schule wurde ich , der nie zuvor einen Ball mit dem Fuß getreten hatte, zum Fußballstar und Vorzeige-Athlet. Da glaubten sie, aus mir würde noch etwas.
    Ich aber beschloß, Frauenarzt zu werden.
    Eltern, Ärzte und Lehrer staunten darüber, daß ich von meinen langen Jahren im Bett keinen Schaden zurückbehalten hatte. Doch täuschte ich alle, denn ich hatte einen gewaltigen Schaden zurückbehalten. Den sah man mir nicht an, dafür fühlte ich ihn in mir umso tiefer. Ich empfand, wo ich stand und ging, ein Grauen, das ich nicht aussprechen konnte. Dieses Grauen war mit dem Rauschen des Großen Dürrenbaches verbunden, das Tag und Nacht in mein Ohr gedrungen war und mein Wachen wie meinen Schlaf unterspült hatte. Wenn ich nicht in Maria Elend war, so heißt das kleine Dorf in Kärnten, aus dem ich stamme, sondern in der Schule im nahen Sankt Jakob, hörte ich das Rauschen des Dürrenbaches immer noch. Bei jedem Schritt war mir, als ginge ich auf einem unbefestigten Steg; und zugleich glaubten meine Schulkameraden, ich sei der härteste Fußballspieler, der rücksichtsloseste Sportler unter ihnen. Sie ahnten alle nicht, was es mich kostete, auf meinen Beinen zu stehen, und nicht von dem Rauschen unter mir, dem großen Loch verschlungen zu werden.
    Besonders schlimm wurde es in den oberen Klassen, als wir im Physikunterricht die Schwarzen Löcher durchnahmen. Diese Löcher waren der Schrecken des Weltalls, sie fraßen alles auf, was sich ihnen näherte, verschluckten ganze Galaxien. Die Physikstunde, in der unser Lehrer die Schwarzen Löcher erklärte, vernichteten auch den Rest von Glauben, den ich noch an die Existenz eines festen Bodens unter den Füßen gehabt hatte. Eines Tages, in nicht allzu ferner Zeit, da war ich sicher, würde ein solches Schwarzes Loch unsere Schule, unser Dorf, Österreich, den Erdball und unser ganzes Sonnensystem verschlucken.
    Das Grauen vor den Schwarzen Löchern jagte mir Schauer über den ganzen Leib, wann immer ich daran dachte. Und ich dachte oft daran. Ganz und gar verloren war ich, als wir im Philosophieunterricht dann auch noch eine Klassenarbeit über den Satz eines Schwarzwälder Philosophen schreiben sollten, der da lautete: »Das Nichts nichtet.«
    Ich gab ein leeres Blatt ab.
    Durch meinen Plan, Frauenarzt zu werden, verlieh ich dem Grauen ein Gesicht; es war mir dann immer noch bedrohlich, aber nicht so sehr. Indem ich, zum Spott und Hohn meiner Eltern und Verwandten, auf die Frage nach meinem Berufswunsch antwortete: Ich will Frauenarzt in Paris werden – und nicht etwa in Klagenfurt, unserer Landeshauptstadt – , trat ich die Flucht nach vorn an. Was man in der Jugend wünscht, das hat man im Alter. Bei mir ging es viel schneller. Ich war Frauenarzt in Paris schon mit Mitte zwanzig.
    Das Grauen meiner Kindheit verwandelte sich nach und nach aus einem akustischen Eindruck in einen optischen. Ich sah ein großes Loch. Es war schwarz und endlos. Ich sah es vor mir, unter mir, über mir und fühlte es hinter mir. Es wollte mich einsaugen.
    Zugleich begannen reale Löcher aller Art auf mich eine saugnapfartige Anziehungskraft auszuüben. Wenn ich mit den Hunden Roll und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher