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Draculetta: Eine Bestürzung in Transsylvanien (German Edition)

Draculetta: Eine Bestürzung in Transsylvanien (German Edition)

Titel: Draculetta: Eine Bestürzung in Transsylvanien (German Edition)
Autoren: Stephanie Reimertz
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Lett von meinem Elternhaus zum Großen Dürrenbach hinunterstieg, ergriff mich vor einer kleinen Höhle, die noch zu unserem Grundstück gehörte, ein Graus, wie ich ihn nie zuvor empfunden hatte. Wie der Mund eines Karpfens tat die Öffnung sich am Wiesenhang auf. Man konnte nicht weit hineinschauen, drinnen glitzerte es dunkel, ich vermutete Wasser, in dem sich ein ekelhaftes Ottern- und Natterngezücht wälzte.
    Ganz schlimm wurde es, als ich acht Jahre alt war und meine Eltern mich in die Obir-Tropfsteinhöhle in Eisenkappel zogen. Schon am Eingang der Höhle bekam ich Bauchgrimmen. Kaum konnte ich mich überwinden, durch das Tor in die Höhle einzutreten; so unwiderstehlich die große Öffnung mich anzog, so stieß sie mich ab. Vater und Mutter nahmen mich in die Mitte, jeder an der Hand, zerrten mich in die Finsternis, und als die Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, das Reich der Schatten um mich herum auferstand, packte mich ein solcher Schrecken, daß ich an den Armen meiner Eltern zerrte, um wieder hinauszulaufen und sie mitzunehmen, denn hier wollte ich sie nicht zurücklassen. Sie hielten mich fest, ich riß mich los und rannte. Aber wohin rennen, wohin gehen? Rötlich leuchtende Wände umstellten alles, zahllose Unter-Höhlen bleckten, von oben und unten stellten sich Säulen in den Weg.
    »Das sind Stalaktiten und Stalagmiten«, lehrte mein Vater und zeigte auf die herabfallenden und von unten wachsenden Pfeiler.
    »Ich gehöre eher zu den Stalagmiten«, sagte ich und drückte meinen Kopf gegen seinen Ellenbogen, auf daß der Stoff seines Jacketts meine Augen abdunkelte. Der Vorhang fiel, ich mußte nichts mehr sehen. An den Rest des Nachmittags erinnere ich mich nicht mehr, noch daran, wie ich aus der Höhle herausgekommen bin. Doch heute noch spüre ich, wenn ich an jenen Tag zurückdenke, die kalten Tropfen aus der Höhle von Eisenkappel auf meinen Rücken fallen und an meiner Wirbelsäule herunterrinnen.
    Wenn ich dann mit Roll und Lett zum Großen Dürrenbach hinabstieg, wagte ich es nicht einmal mehr, zu der kleinen Erdeinstülpung auch nur hinzuschauen. Ich ignorierte die Wasserhöhle auf unserem Grundstück und schaute, daß ich mit den Hunden zum Bett des Drau-Zuflusses hinunterkam, wo sie sich auf Sand und Steinen austollen konnten.
    Wenn ich aber den Abhang hinunterstieg, während die Hunde längst hinuntergesprungen und unten am Flußbett angekommen waren, wurde mir doch schlagartig klar, daß es gar nichts nützte, die Höhle zu ignorieren. Ich fühlte ihren Blick im Rücken, denn sie war es, die mich aus dem schwarzen Glitzern ihres furchtbaren Innenlebens anstarrte. Wenn ich nachts im Bett lag, fühlte ich den starren Blick des Loches draußen vor dem Fenster, und wenn ich abends durch den Garten ging, wagte ich es nicht, Mond und Sterne anzusehen, denn ich fühlte den schwarzen Himmel über mir wie ein riesiges Loch und hatte Angst, wenn ich einen Blick riskierte, vom Boden abzuheben und in das end- und rettungslose All hinangezogen zu werden.
    Es muß in jeder Zeit gewesen sein , da sich die mit Grauen gemischte Anziehung, die ich vor allen Löchern empfand, auch auf andere Phänomene übertrug. Wenn ich im Fernsehen eine der hübschen Ansagerinnen sah, in den sechziger Jahren in Schwarzweiß, in den Siebzigern in Farbe, wie sie den Mund auf und zu machten, fühlte ich mich vollkommen gelähmt. Ich konnte mich nicht in meinem Fauteuil bewegen, auch konnte ich kein Wort von dem verstehen, was sie sagten. Die Worte drangen in mein Ohr wie Laute aus einem wüsten Traum, und das sich öffnende und schließende Loch mitten im Gesicht der Fernsehansagerin ergriff mich wie eine mit Grauen gemischte Anziehung, der ich glaubte, nicht entrinnen zu können. So wie ich das Gefühl hatte, daß die Höhle am Hang mich auch nachts beobachtete, war mir, als wollten die Sprecherinnen, die unaufhörlich ihren Mund öffneten und schlossen, mich verschlingen. Besonders fürchtete ich die Löwenmäuler der Sängerinnen in Opernübertragungen, die meine Eltern sich im Fernsehen anschauten.
    Auf einer Italienreise mit meinen Eltern verlor ich endgültig alles Grundvertrauen, alle Lebenssicherheit, und mein Unbehagen steigerte sich für lange Zeit zu einem Schwindel, der mich, einem epileptischen Anfall gleich, jederzeit durcheinanderwirbeln konnte. Als wir in Rom das Pantheon betraten, ahnte ich zunächst nichts Böses und folgte den Ausführungen meines Vaters über die Reliquien und Gräber, die
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