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Draculetta: Eine Bestürzung in Transsylvanien (German Edition)

Draculetta: Eine Bestürzung in Transsylvanien (German Edition)

Titel: Draculetta: Eine Bestürzung in Transsylvanien (German Edition)
Autoren: Stephanie Reimertz
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sich in diesem zur Christenkirche degradierten römischen Tempel befinden. Als ich aber die Frage klären wollte, wo der Sonnenstrahl herkam, der plötzlich auf mein Gesicht traf und es unnatürlich aufheizte und zu diesem Zweck nach oben schaute, traf mich der Schlag. In der Mitte der Kuppel tat sich ein großes Loch auf und vernichtete im selben Augenblick meine Überzeugung, daß sich Löcher immer unten befinden, nicht aber oben. Mir wurde schwindelig, ich fiel hin und sah im Liegen das Loch in der Decke nur umso deutlicher. Es öffnete einen Ausschnitt des Himmels und ließ einen wie geschnitten scharfen Sonnenstrahl ein, aber für mich war es eine Öffnung der Hölle, und ich hatte das Gefühl, jeden Moment nach oben gerissen werden zu können, auf Nimmerwiedersehen ins Weltall.
    Besonders schlimm für mich war, daß in jenen Jahren so viel vom Ozon-Loch gesprochen wurde. Als ich meinen Vater fragte, was es damit auf sich habe, erklärte er mir, daß der Himmel selbst ein großes Loch habe, größer noch als das in der Kuppel des Pantheons. Seitdem er mir dies gesagt hatte, wollten mir die Beine wieder wegbrechen, und ich ging wie früher wackelig. Ich hatte den Eindruck, jeden Moment abzuheben und durch das Ozon-Loch ins schwarze Weltall gesogen werden zu können.
    Ich entstamme einem Südkärntner Clan, der an dem Dreiländereck von Österreich, Italien und Slowenien seit Jahrhunderten sein Wesen treibt, und der sich inzwischen über ganz Kärnten, bis in die Südsteiermark hinein ausgebreitet hat. Einige meiner Cousins und Cousinen sind gar nach Wien gezogen. Der Stammsitz unserer Familie liegt jedoch in dem Dorfe Maria Elend im Rosenthal, nicht weit von Klagenfurt entfernt. Außer der Wallfahrtskirche, der Volksschule, dem Café Bethlehem, der Pension Mikula und dem Gasthof Auer mit seiner familiären Atmosphäre und dem guten Wiener Schnitzel gibt es bei uns nicht viel, man könnte auch sagen gar nichts. Über den alten Viadukt neben dem Haus meiner Eltern fährt einmal am Tag die Lokalbahn, und jedesmal wundert man sich darüber, daß die rostige Konstruktion unter dem Gewicht der Zügleins nicht zusammenbricht. Darunter rauscht seit ewigen Zeiten der Große Dürrenbach, ein Zufluß der Drau. Dieses ewig Sprudelnde, strömende Wasser hat dafür gesorgt, daß meine Kindheit und Jugend mit einer Art Grundrauschen unterlegt wurden.
    Als ich zum Studium nach Wien ging, merkte ich nach ein paar Wochen, daß mir irgendetwas fehlte. War es das Wiener Schnitzel aus dem Gasthof Auer? Nein, in Wien gab es an jeder Ecke ein besseres Schnitzel. Ich drang in mich selbst ein mit der Frage, was mir denn fehle. Eines Morgens, beim Aufwachen in meinem Studentenzimmer in einem Jugendstilhaus im IX. Wiener Bezirk, merkte ich, was es war. Das Rauschen des großen Dürrenbaches, das Grundrauschen meiner Existenz, hier in Wien erklang es nicht länger. In der Hauptstadt herrschte eine tödliche Stille, die nur Autos, Trams und Busse durchschnitten, die man von meinem Quartier in der Berggasse aus hören konnte.
    Ich sprang aus dem Bett und st ellte mich unter die kalte Dusche, damit der Klang des rauschenden Wassers verhindere, daß ich in eine existentielle Krise geriet und gleich im ersten Semester nach Maria Elend zurückkehren müßte, ein gescheiterter Student. Nach der Morgentoilette hastete ich die Stiegen des alten Hauses aus der Zeit von Kaiserin Sisi hinunter, redete mir ein, daß alles in Ordnung sei und ging, nein: lief die Währinger Straße entlang. Ich wußte nicht, wo ich hinwollte, nur, daß ich nicht etwa vor irgendetwas weglief, sondern, im Gegenteil: zu etwas hinlief. Jeder Student durchleidet in den ersten Wochen am Studienort einen Schock. Bei den meisten besteht dieser darin, daß sie nun nicht mehr im Hotel Mama wohnen und sich selbst um Essen und Wäsche kümmern müssen.
    Mein Schock war ein anderer. Das Rauschen fehlte plötzlich, das Grundrauschen meines Lebens, das nimmermüde Wasser des Großen Dürrenbaches. Ich vermißte ihn auch darum so sehr, weil ich als kranken Kind jahrelang nichts anderes getan hatte, als von Morgens bis Abends auf dieses Zischen, Plätschern und Strömen zu lauschen. Jetzt war es weg, und ich geriet ins Schleudern.
    Ich achtete nicht darauf, wo ich hinlief, so hatten meine Füße freie Hand. Sie lenkten mich, wie jeden Morgen, ins Café Weimar. Andere Studenten, die vom Lande kommen, finden es in Wien zu laut und brauchen Wochen, um sich an den Großstadtlärm zu
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