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Nachts

Nachts

Titel: Nachts
Autoren: Stephen King
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Geräusch ihres Mechanismus war ein Schrei, hoch und schrill, wie von einer Frau, die in den Wehen einer Fehlgeburt stirbt. Das Stück Papier, das sich aus der schlitzförmigen Öffnung zwängte und drängte, rauchte und schäumte. Dann fing der dunkle Ausgabeschlitz selbst an zu schmelzen, eine Seite sackte nach vorne, die andere ringelte sich in die Höhe, und alles zusammen fing an zu gähnen wie ein zahnloser Mund. Eine Blase bildete sich auf der glänzenden Oberfläche des letzten Bildes, das immer noch in dem klaffenden Schlitz hing, mit dem die Polaroid Sun alle ihre Fotos gebar.
    Während Kevin starr dastand und durch einen Vorhang tanzender Lichtpünktchen sah, den die letzte weiße Explosion vor seine Augen gezaubert hatte, brüllte der SunHund wieder. Jetzt war das Brüllen leiser, nicht mehr vom Eindruck begleitet, als würde er von unten und überall gleichzeitig kommen, aber auch tödlicher, weil es realer war mehr da.
    Ein Teil der in Auflösung befindlichen Kamera explodierte als graue Kordel nach hinten, landete auf Pop Merrills Hals und dehnte sich zu einem Kollier. Plötzlich platzte Pops Schlagader auf.
    Sein Kopf rollte ungestützt hin und her.

    Die Blase auf der Oberfläche des Bildes wurde größer. Das Bild selbst fing im klaffenden Schlitz am unteren Ende der jetzt enthaupteten Kamera an zu zittern. Die Seiten dehnten sich aus, als wäre das Bild nicht mehr aus Pappe, sondern aus einer flexiblen Substanz wie gestricktem Nylon. Es wackelte in dem Schlitz hin und her, und Kevin dachte an die Cowboystiefel, die er vor zwei Jahren zum Geburtstag bekommen hatte, und wie er die Zehen hineinwackeln mußte, weil die Stiefel ein wenig zu eng waren.
    Die Ränder des Bildes berührten die Ränder des Ausgabeschlitzes, wo sie steckenbleiben sollten. Aber die Kamera war nicht mehr fest; sie verlor sogar jede Ähnlichkeit mit dem, was sie einmal gewesen war. Die Ränder des Bilds schnitten so mühelos durch sie hindurch wie die rasiermesserscharfen Schneiden eines Messers durch zartes Fleisch. Sie bohrten sich durch das ehemalige Gehäuse der Polaroid, so daß graue Tröpfchen rauchenden Plastiks in die Luft spritzten. Eines landete auf einem trockenen, welligen Stapel Popular Mechanics und fraß ein schwelendes, rußiges Loch hinein.
    Der Hund brüllte wieder, ein wütender, häßlicher Laut der Schrei von etwas, das nur Jagen und Töten im Sinn hatte. Sonst nichts.
    Das Bild bebte auf dem Rand des durchhängenden, verfallenen Schlitzes, der jetzt mehr wie der Trichter eines mißgestalteten Blasinstruments aussah, und fiel dann so schnell wie ein Stein in einen Brunnen auf den Schreibtisch.
    Kevin spürte, wie eine Hand seine Schulter packte.
    »Was geschieht da?« fragte sein Vater heiser. »Allmächtiger Jesus Christus, Kevin, was macht es?«
    Kevin hörte sich selbst mit einer distanzierten, fast teilnahmslosen Stimme antworten: »Es wird geboren.«
    Kapitel Dreiundzwanzig
    Pop Merrill starb zurückgelehnt auf dem Stuhl an seinem Schreibtisch, wo er so viele Stunden sitzend verbracht hatte: sitzend und rauchend; sitzend und Sachen reparierend, damit sie wenigstens eine Zeitlang wieder funktionierten und er das Wertlose an die Achtlosen verkaufen konnte; sitzend und Geld an die Impulsiven verleihend, wenn die Sonne untergegangen war. Er starb mit dem Blick zur Decke empor, von der sein eigenes Blut heruntertropfte auf seine Wangen und die offenen Augen.
    Sein Stuhl kippte, der schlaffe Körper fiel auf den Boden. Geldbörse und Schlüsselringe klirrten.
    Auf seinem Schreibtisch zuckte das letzte Polaroidbild weiterhin unablässig. Die Seiten dehnten sich aus, und Kevin schien ein unbekanntes Ding, lebend und tot zugleich, in unvorstellbaren Geburtswehen knurren und stöhnen zu hören.
    »Wir müssen hier raus«, keuchte sein Vater und zupfte an Kevins Ärmel. John Delevans Augen waren groß und panisch und ganz auf die zuckende, wachsende Fotografie gerichtet, die inzwischen schon den halben Schreibtisch von Merrill bedeckte. Sie hatte keinerlei Ähnlichkeit mehr mit einer Fotografie. Die Seiten wölbten sich wie die Wangen von jemand, der mit aller Gewalt zu pfeifen versucht. Die glänzende Blase, die inzwischen dreißig Zentimeter hoch war, pulsierte und bebte. Seltsame, unbeschreibliche Farben huschten unablässig über die Oberfläche, auf der eine Art öliger Schweiß ausgebrochen zu sein schien. Das Brüllen, voll Frustration und Entschlossenheit und verzehrendem Hunger, dröhnte wieder durch
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