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Nachts

Nachts

Titel: Nachts
Autoren: Stephen King
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Überraschung und Angst, während er versuchte, sich von dem Tisch zu befreien, der auf ihn gestürzt war, aber Kevin nahm keine Notiz davon. Das Brüllen schien aus weiter Ferne zu kommen.
    Schon gut, Dad, dachte er und nahm das zappelnde, kämpfende Tier deutlicher in den Bildsucher. Es ist alles gut siehst du das denn nicht? Es kann alles gut werden weil der Fetisch, den es um den Hals trägt, ein anderer geworden ist.
    Er dachte, daß der SunHund vielleicht auch ein Herrchen hatte und dieses Herrchen hatte erkannt, daß Kevin keine leichte Beute mehr war.
    Und vielleicht gab es einen Hundefänger in der seltsamen Nirgendwostadt Polaroidsville; es mußte einen geben, warum wäre die dicke Frau sonst in seinem Traum vorgekommen? Die dicke Frau hatte ihm gesagt, was er tun mußte, entweder aus eigenem Antrieb oder weil der besagte Hundefänger sie dorthin gestellt hatte, damit er, Kevin, sie bemerkte: die zweidimensionale Frau mit ihrem zweidimensionalen Einkaufswagen voll zweidimensionaler Kameras. Paß auf. Junge. Pops Hund hat sich von der Leine losgerissen, und er ist böse Es ist schwer, ein Bild von ihm zu machen, aber man kann es überhaupt nicht, wenn man keine Kamera hat.
    Und jetzt hatte er seine Kamera, oder nicht? Es war nicht sicher, auf gar keinen Fall, aber wenigstens hatte er sie.
    Der Hund hielt inne und drehte fast ziellos den Kopf. bis sein trüber, roter Blick auf Kevin Delevan fiel. Die schwarzen Lefzen entblößten die gewundenen Keilerzähne, die Schnauze gab den Blick in den rauchenden Rachen frei, und er stieß ein hohes, durchdringendes Wutgeheul aus. Die uralten hängenden Kugeln, die Pops Haus nachts beleuchteten, platzten eine nach der anderen, Milchglasscherben voller Fliegenscheiße regneten herab. Der Hund sprang, seine breite, keuchende Brust brach durch die Membran zwischen den Welten.
    Kevin legte den Finger auf den Auslöser der Polaroid.
    Der Hund schnellte erneut hoch, und jetzt kamen die Vorderpfoten heraus, und die tückischen Knochensporen, die wie gigantische Dornen aussahen, kratzten und suchten auf dem Schreibtisch nach Halt. Sie zogen lange vertikale Furchen in das Ahornholz. Kevin konnte das Poltern und Schaben der zappelnden Hinterfüße hören, die da unten Halt suchten (wo immer auch da unten sein mochte), und er wußte, dies waren die letzten Sekunden, in denen das Tier gefangen und seiner Gnade ausgeliefert sein würde; die nächsten konvulsivischen Zuckungen würden es über den Schreibtisch be fördern, und wenn es sich erst einmal aus dem Loch befreit hatte, durch das es sich zwängte, konnte sich das Tier schnell und anmutig wie der Tod bewegen, den Zwischenraum zwischen ihnen beiden überwinden und Kevins Hosen, Sekundenbruchteile ehe es die Zähne in dessen warme Eingeweide schlug, mit seinem feurigen Atem in Brand stecken.
    Kevin befahl ganz langsam und präzise: »Sag Cheese, du Pisser.«
    Und drückte mit der Polaroid ab.
    Kapitel Vierundzwanzig
    Der Blitz war so hell, daß Kevin ihn sich später nicht mehr vorstellen, sich nicht einmal richtig daran erinnern konnte. Die Kamera, die er in der Hand hielt, wurde nicht heiß und schmolz; statt dessen hörte man aus ihrem Inneren in rascher Folge drei oder vier berstende Laute, als die Linse zersprang und Federn entweder rissen oder einfach zerfielen.
    Im weißen Nachglimmen sah er den SunHund erstarrt, eine perfekte Polaroidfotografie in Schwarzweiß, Kopf zurückgeworfen, jede Falte und Furche in seinem struppigen Fell deutlich wie die komplizierte Topographie eines ausgetrockneten Flußbetts. Seine Zähne glänzten nicht mehr schwach gelb, sondern weiß und ekelhaft wie alte Knochen in einer sterilen Leere, wo seit Jahrtausenden kein Wasser mehr floß.
    Sein einziges aufgequollenes Auge, dem der gnadenlose Blitz das dunkle und blutige Loch der Iris genommen hatte, war so weiß wie die Augen im Kopf einer griechischen Statue. Qualmender Rotz tropfte aus seinen geblähten Nüstern und strömte wie flüssige Lava in den schmalen Rinnen zwischen den gefletschten Lefzen und dem Zahnfleisch dahin.
    Es war wie das Negativ aller Polaroidaufnahmen, die Kevin je gesehen hatte: Schwarzweiß statt Farben, drei Dimensionen statt zwei. Und es war, als wäre man Zeuge geworden, wie ein Lebewesen durch einen achtlosen Blick des Medusenhaupts augenblicklich in Stein verwandelt worden war.
    »Du bist erledigt, du Mistvieh!« schrie Kevin mit brüchiger, hysterischer Stimme, und wie zustimmend verloren die starren Vorderpfoten
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