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Sommerhaus jetzt! - 13 Freunde und der Traum vom Wochenende im Grünen

Sommerhaus jetzt! - 13 Freunde und der Traum vom Wochenende im Grünen

Titel: Sommerhaus jetzt! - 13 Freunde und der Traum vom Wochenende im Grünen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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DER AUSWEG AUS DEM EINWEG-DILEMMA
    Wie bescheuert muss man als Vogel eigentlich sein, um bei so einem Sonnenaufgang ausgerechnet hier rumzufliegen?«
    Ich nahm Ollis Bemerkung und das anschwellende Vogelgeschrei wie durch Watte wahr. Die Ohren waren noch betäubt vom Wummern der Nacht.
    »Ich meine, die könnten doch einfach starten und wären in zwanzig Minuten an den schönsten Wäldern und Seen. Mit kerngesunden Regenwürmern als Willkommenssnack.«
    Berlin-Kreuzberg, Kottbusser Tor. Graue Hauptstadtvögel stapften in ihren eigenen Hinterlassenschaften auf Stahlträgern herum. Die gelben Waggons der U-Bahn-Linie 1, die in diesem Teil der Stadt oberirdisch verläuft, donnerten über ihren Köpfen in Richtung Endstation. Dort, wo wir entlangliefen, gab es nur Rückstände von Döner mit Zigarettenstummeln als Sättigungsbeilage.
    »Wahrscheinlich wissen die gar nicht, was ihnen fehlt«, entgegnete ich Olli. »Komm, lass uns irgendwo in Ruhe noch einen nehmen. Ich habe für morgen die Lizenz zum Ausschlafen.«
    Die blaue Stunde löste wieder einmal eine tiefe Zufriedenheit bei mir aus. Es war die Tageszeit, in der mir Berlin immer besonders nach bei sich selbst erschien. Als Familienvater erlebte man sie nicht mehr ganz so oft mit. Aber wenn man dann mal wieder eine dieser Nächte absolviert hatte, die meist mit irgendeiner Restaurantentdeckung anfingen, im allgemeinen Vernissagen-, Bar- und Klubbetrieb der Stadt an Fahrt aufnahmen und bei morgendlichem Gezwitscher in der nächsten Eckkneipe endeten, dann war einem wieder glasklar, dass man genau hier leben wollte. Nur in größeren Städten, davon waren Olli und ich zutiefst überzeugt, gab es auch für den erwachsenen Menschen ein würdevolles Leben nach dem Essengehen. Oder eben auf dem platten Land.
    »In dem Punkt unterscheiden wir uns von diesen komischen Vögeln«, sagte ich. »Wir können von dieser Stadt auch nicht lassen. Aber wir wissen inzwischen, dass es da draußen auch ziemlich schön sein kann.«
    Schweigend liefen wir unter der Hochbahn entlang.
    »O Mann«, sagte ich.
    »Was ist?«, fragte Olli.
    »Morgen früh krieg ich wieder meinen Stadtfrust.«
    »Locker bleiben, gegen Mittag fahren wir ja erst mal mit den anderen irgendwo raus zum See.«
    Das war vor gut drei Jahren.
    Im Schädel dröhnte es noch, als ich mich am nächsten Tag zur Mittagszeit auf der Autobahn am nördlichen Stadtrand wiederfand.
    »Fahr mal an der nächsten Raste raus, wir müssen noch einen Einweggrill besorgen«, sagte Simone.
    »Einweggrill, Einweggrill!«, moserte ich, »Einweggrills sind überhaupt das Schlimmste. Wenn du mich fragst, ist der Einweggrill das Sommerhaus des kleinen Mannes.«
    Trotz meines Katers reflektierte ich unsere Misere buchstäblich auf der Überholspur – und scherte mich nicht weiter darum, dass Simone alles andere als aufnahmebereit war für meine Möchtegern-Bonmots. Wie ein Schlangenmensch schraubte sie sich mit dem Oberkörper vom Beifahrersitz in den hinteren Teil des Wagens. In dieser verdrehten Haltung absolvierte Simone weite Strecken unserer familiären Autofahrten: Aus der Drehung heraus ins Nucki-Lager in der Mittelkonsole greifen und dem kleinen Oscar den Stöpsel reindrücken; den anderen, verloren gegangenen Schnuller unter Oscars gefledderten Sesamstraßen-Magazinen im Fußraum aufspüren und ins Nucki-Zwischenlager in der Mittelkonsole einweisen; angelutschte und halb aufgelöste Zwiebäcke flugs abtupfen und dem Kleinen wieder anreichen; Sesamstraßen-Magazine mit einem Feuchttuch von verkrusteten Kleinkindspeichel-Zwiebackrückständen befreien und zurücklegen; Gurte, die drücken, so zurechtzupfen, dass sie nicht mehr drücken; Schnuller an den Kopf geworfen kriegen und unablässig schimpfen. Aber für jedes Nölen des kleinen Hintersassen ein offenes Ohr haben. Nicht haben: ein offenes Ohr für die seelischen Nöte des Fahrers. Um irgendwann auch mal wieder ihre Aufmerksamkeit geschenkt zu bekommen, versuchte ich deshalb, erst einmal Oscar zu beruhigen.
    »Oscar, jetzt sag mal ganz ruhig Om«, empfahl ich dem Kleinen und summte ihm das lang gestreckte Mantra vor: » Ooooommmm .«
    Aber Oscar brüllte es heraus wie der Frontmann einer Punkband: »Oooooommmm!« Es war nichts zu wollen.
    Betont lässig, einarmig mit flacher Hand lenkend, ließ ich das Auto über die A11 schaukeln, bis wir etwa zwanzig Minuten hinter Berlin die Abfahrt Wandlitz nahmen. Olli hatte meinen Fahrstil mal als »Wischtechnik« bezeichnet. Mit
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