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Nachts

Nachts

Titel: Nachts
Autoren: Stephen King
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des Dings ihren Halt auf dem Schreibtisch; es verschwand erst langsam und dann immer schneller in dem Loch, aus dem es gekommen war. Es verschwand mit einem felsigen Tosen, wie ein Erdrutsch.
    Was würde ich sehen, wenn ich jetzt hinlaufen und in dieses Loch schauen würde? fragte er sich zusammenhanglos. Würde ich das Haus sehen, den Zaun, den alten Mann mit seinem Einkaufswagen, der stumm staunend das Gesicht eines Giganten betrachtet, nicht eines Jungen, sondern eines JUNGEN, der ihn aus einem verkohlten Loch im dunstigen Himmel betrachtet? Würde es mich einsaugen? Was?
    Statt dessen ließ er die Polaroid fallen und schlug die Hände vors Gesicht.

    Nur John Delevan, der auf dem Boden lag, sah den letzten Akt.
    Die krause, abgestorbene Membran schrumpelte, zog sich zu einem komplizierten, aber bedeutungslosen Muster über dem Loch zusammen und fiel dann (oder wurde inhaliert) in sich selbst hinein.
    Zischen von Luft war zu hören, das von einem tiefen Stoßseufzer zum schrillen Pfeifen eines Teekessels wurde.
    Dann kehrte sich das Innerste nach außen, und das Biest war verschwunden, ganz einfach verschwunden, als hätte es überhaupt nie existiert.
    Als Mr. Delevan langsam und zitternd auf die Beine kam, konnte er sehen, daß der Luftschwall (oder Sog, je nachdem von welcher Seite aus man es sah) die Schreibtischunterlage und die anderen Fotos, die der alte Mann gemacht hatte, mit sich gerissen hatte.
    Sein Sohn stand mitten im Zimmer, hatte die Hände vor dem Gesicht und weinte.
    »Kevin«, sagte er leise und legte dem Jungen die Hand um die Schultern.
    »Ich mußte ein Foto von ihm machen«, sagte Kevin unter Tränen zwischen den Händen hindurch. »Nur so konnte ich ihn loswerden. Ich mußte ein Foto von diesem verfluchten Hurenhund machen, das will ich damit sagen.«
    »Ja.« Er zog Kevin noch näher zu sich und umarmte ihn noch fester. »Ja, und du hast es geschafft.«
    Kevin sah seinen Vater mit unbedeckten, tränenden Augen an.
    »So mußte ich ihn erschießen, Dad. Verstehst du das?«
    »Ja«, sagte sein Vater. »Ja, das verstehe ich.« Er küßte Kevins heiße Wange noch einmal. »Gehen wir heim, Junge.«
    Er verstärkte den Griff um Kevins Schultern und wollte ihn zur Tür führen, fort vom rauchenden, blutigen Leichnam des alten Mannes (Kevin hatte ihn noch gar nicht richtig bemerkt, vermutete Mr. Delevan, aber wenn sie noch eine Weile blieben, dann würde er ihn bemerken), und einen Augenblick leistete Kevin Widerstand.
    »Was werden die Leute sagen?« fragte Kevin, und sein Tonfall war so prüde und altjüngferlich, daß Mr. Delevan trotz seiner flatternden Nerven lachen mußte.
    »Sollen sie sagen, was sie wollen«, erklärte er Kevin. »Sie werden nie auch nur in die Nähe der Wahrheit kommen, und ich glaube auch nicht, daß es jemand besonders versuchen wird.« Pause.
    »Weißt du, niemand konnte ihn richtig gut leiden.«

    »Ich will nie auch nur in die Nähe der Wahrheit kommen«, flü
    sterte Kevin. »Gehen wir nach Hause.«
    »Ja. Ich hab dich sehr lieb, Kevin.«
    »Ich dich auch«, sagte Kevin heiser, dann gingen sie aus dem Qualm und dem Gestank alter Sachen, die besser vergessen blieben, ins helle Tageslicht hinaus. Hinter ihnen ging ein Stapel alter Magazine in Flammen auf und das Feuer streckte rasch die gierigen orangeroten Finger aus.

    Epilog
    Es war Kevins sechzehnter Geburtstag, und er bekam genau das, was er sich gewünscht hatte: einen WordStar 7oTextcomputer.
    Früher hätten sie sich so etwas kaum leisten können, aber im Januar, etwa drei Monate nach der letzten Konfrontation im Emporium Galorium, war Tante Hilda friedlich im Schlaf gestorben. Sie hatte tatsächlich etwas für Meg und Kevin getan; sie hatte sogar eine ganze Menge für die Familie getan. Als das Testament Anfang Juni verkündet wurde, waren die Delevans um fast siebzigtausend Dollar reicher nach Abzug der Steuern, nicht vorher.
    »Herrje, das ist toll, danke!« rief Kevin und küßte seine Mutter, seinen Vater und sogar seine Schwester Meg (die kicherte, aber, da sie ein Jahr älter war, nicht mehr versuchte, den Kuß wegzureiben; Kevin war nicht sicher, ob diese Veränderung ein Schritt in die richtige Richtung war). Er hatte den größten Teil des Nachmittags in seinem Zimmer verbracht, mit dem Computer herumgespielt und das Testprogramm ausprobiert.
    Gegen vier Uhr kam er ins Zimmer seines Vaters herunter. »Wo sind Mom und Meg?« fragte er.
    »Die sind zur Kunstausstellung in Kevin? Kevin, was ist denn
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