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Nachtflug

Nachtflug

Titel: Nachtflug
Autoren: Antoine de Saint-Exupéry
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er ihn betrachtete, je mehr malte sich auf seinen Lippen eine Ironie, aus der Robineau nicht klug wurde. Je mehr Riviere ihn betrachtete, je mehr errötete Robineau, und je mehr erschien es Riviere, als sei dieser Mann mit seinem rührenden guten Willen hier zu ihm gekommen, um ein kläglich unfreiwilliges Zeugnis abzulegen von der Torheit der Menschen.
    Robineaus Vorhaben löste sich in Verwirrung auf. Der Feldwebel, der General, der Kugelregen - nichts von alledem hatte mehr Kurswert. Etwas Unerklärliches ging vor sich. Riviere schaute ihn immer noch an. Robineau korrigierte ein wenig seine Haltung, nahm die Hand aus der linken Hosentasche. Riviere schaute immer noch. Da endlich stammelte Robineau tödlich verlegen, ohne zu wissen, warum, die Worte hervor: 
    »Ich bin gekommen, um Ihre Anweisungen entgegenzunehmen.« 
    Riviere zog seine Uhr und sagte einfach: 
    »Es ist jetzt zwei Uhr. Der Kurier von Asuncion wird um zwei Uhr zehn landen. Lassen Sie den Europakurier um Viertel nach zwei starten.«
    Und Robineau gab die erstaunliche Kunde weiter: die Nachtflüge wurden nicht aufgehoben!
    Und Robineau wandte sich an den Bürovorsteher:
    »Sie bringen mir nachher das Aktenstück zur Kontrolle.«
    Und als der Bürovorsteher vor ihm stand: 
    »Warten Sie.«
    Und der Bürovorsteher wartete.
XXII
    Der Kurier von Asuncion meldete sich zur Landung. Riviere hatte auch in den schlimmsten Stunden von Telegramm zu Telegramm seinen Weg verfolgt. Das war ihm inmitten der Zerrüttung die Rechtfertigung seines Glaubens, der Beweis. Dieser glückliche Flug verkündete tausend andere, ebenso glückliche Flüge. ›Es kommt nicht jede Nacht ein Zyklone Er dachte auch: Wenn einmal der Weg vorgezeichnet ist, kann man nicht anders als weitergehen. ‹
    Von Staffel zu Staffel, aus Paraguay her wie aus einem herrlichen Garten voller Blumen, niedriger Häuser und stiller Gewässer glitt das Flugzeug am Rande des Zyklons dahin, der ihm nicht einen Stern trübte. Neun Passagiere, in ihre Reisedecken gehüllt, saßen, die Stirn an die Scheibe gelehnt wie an ein Schaufenster voller Geschmeide, denn da drunten streuten schon die kleinen Städte Argentiniens ihre Goldkörner in die Nacht, unter dem blasseren Gold der Sternstädte droben. Der Pilot vorn lenkte mit seinen Händen die kostbare Fracht Menschenleben, die Augen weit offen und voller Mondlicht, wie ein Hirt. Buenos Aires erfüllte schon den Horizont mit seinem Rubinschein und würde bald mit all seinem Geschmeide blitzen wie ein Fabelschatz. Der Funker entsandte mit behenden Fingern die letzten Telegramme, wie die Schlußklänge einer Sonate, fröhlich in den Raum musiziert, von Riviere vernommen; dann zog er die Antenne ein, streckte sich ein wenig, gähnte und lächelte: man war am Ziel.
    Nach der Landung trat der Pilot zu dem Führer des Europakuriers, der, die Hände in den Taschen, gegen seine Maschine gelehnt stand. 
    »Hast du den Anschluß?« 
    »Ja.«
    »Ist Patagonien schon da?«
    »Wird nicht mehr erwartet: vermißt. Wetter gut?«
    »Sehr gut. Fabien ist vermißt?« 
    Sie sprachen nicht viel darüber. Die Bruderschaft, die sie verband, machte Gerede überflüssig.
    Man verlud die Durchgangspost von Asuncion auf das Europaflugzeug, während der Pilot noch immer unbeweglich, den Kopf im Nacken, gegen die Bordwand gelehnt stand und in die Sterne schaute. Er spürte ein grenzenloses Kraftgefühl in sich wachsen, und ein gewaltiges Behagen durchdrang ihn. 
    »Fertig?« rief eine Stimme. »
    Alsdann einschalten!«
    Der Pilot rührte sich nicht. Man ließ seinen Motor an. Er stand gegen das Flugzeug gelehnt und wartete darauf, das Leben der Maschine in seinen Schultern zu spüren. Endlich Gewißheit nach all dem Hin und Her: wird starten … wird nicht starten … wird starten! Sein Mund öffnete sich halb, und seine Zähne blitzten im Mondlicht wie die eines jungen Raubtiers.
    »Gut aufpassen, du, bis es hell wird, gelt?« Er hörte den Rat seines Kameraden nicht. Die Hände in den Taschen, das Gesicht den Wolken, Bergen, Flüssen, Meeren zugewandt, begann er schweigend zu lachen. Ein leises Lachen, aber ihn durchzitternd von Kopf bis Fuß, wie ein Windhauch durch einen Baum. Ein schwaches Lachen, aber stärker als diese Wolken, Berge, Flüsse und Meere.
    »Was hast du?«
    »Dieser Tropf, Riviere, der mich für … der sich einbildet, ich hätte Angst!«
XXIII
    In einer Minute wird er Buenos Aires unter sich haben, und Riviere, der seinen Kampf wiederaufnimmt, will ihn
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