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Nachtflug

Nachtflug

Titel: Nachtflug
Autoren: Antoine de Saint-Exupéry
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er die Tür zu dem Zimmer auf, in dem die Schreiber saßen, und ein Zeichen sprang ihm in die Augen, das deutlicher als Worte von dem Ausbleiben Fabiens sprach, ein Zeichen, das Frau Fabien nicht hatte wahrnehmen können: R. B. 903, das Flugzeug Fabiens, figurierte auf dem Dienstplan, der an der Wand hing, bereits unter der Rubrik für nicht verfügbares Material. Die Schreiber, die die Papiere für den Europakurier herzurichten hatten, arbeiteten nachlässig, weil sie wußten, daß er Verspätung haben würde. Vom Flugplatz wurde telephonisch angefragt nach Instruktionen für die Wachmannschaften, die jetzt zwecklos in Bereitschaft standen. Die Funktionen des Lebens hatten sich verlangsamt. ›Der Tod‹, dachte Riviere, ›da ist er.‹ Das ganze Werk, das er geschaffen, erschien ihm wie ein Segelschiff bei Flaute auf dem Meer.
    Er hörte Robineaus Stimme.
    »Herr Direktor … sie waren erst seit sechs Wochen verheiratet …« 
    »Gehen Sie an Ihre Arbeit.« 
    Riviere sah vor sich die Schreiber dort, und hinter ihnen die Arbeiter, die Mechaniker, die Piloten, alle, die ihm bei seinem Werk geholfen hatten mit dem Glauben derer, die etwas aufbauen. Er dachte an die Menschen alter Zeit, die in ihren Siedlungen von »Inseln« erzählen hörten und sich ein Schiff bauten. Um es mit ihrer Sehnsucht zu befrachten. Um die Segel ihrer Hoffnung sich entfalten zu sehen auf dem Meer. Alle über sich selbst hinausgewachsen, alle befeuert und befreit durch ein Schiff. 
    ›Das Ziel ist vielleicht fragwürdig, aber die Tat befreit vom Tode. Diese Menschen errangen sich Dauer durch ihr Schiff.‹ Und auch er wird gegen den Tod kämpfen, er wird den Telegrammen wieder ihren gültigen Sinn geben und den Mannschaften auf Wache ihre lebendige Unruhe und den Piloten ihr erregendes Ziel. Das Leben wird dieses Werk wieder in Gang setzen, wie der Wind einen Segler auf See.
XX
    Commodoro Rivadavia hört nichts mehr, aber tausend Kilometer weiter, zwanzig Minuten später, fängt Bahia Blanca eine zweite Nachricht auf:
    »Gehen herunter. Kommen in die Wolken .« 
    Dann erschienen auf der Funkstelle Trelew die zwei verlorenen Worte: 
    »…nichts sehen …«
    So ist es mit den Kurzwellen. Hier erwischt man sie, dort bleibt man taub. Dann, ohne Grund, wechselt alles. Die beiden da oben, Gott weiß wo, melden sich den Lebenden schon wie von jenseits von Raum und Zeit, und die Schrift auf den weißen Blättern der Funkstellen ist Geisterschrift. 
    Ist der Betriebsstoff erschöpft, oder spielt der Pilot seine letzte Karte aus und versucht noch vorher zu landen?
    Die Stimme von Buenos Aires gibt den Befehl an Trelew: 
    »Fragen Sie ihn.«
    Das Bild der Empfangsstelle gleicht einem Laboratorium: Nickel, Kupfer, Manometer, ein Netz von Drähten. Die Funker vom Dienst in weißen Kitteln hocken wie über ein Experiment gebeugt.
    Mit behutsamen Fingern berühren sie die Instrumente, tasten den magnetischen Raum ab, Rutengänger, die die Goldader suchen. 
    »Keine Antwort?« 
    »Keine Antwort.«
    Vielleicht wird man ihn doch noch aufspüren, diesen kleinen Lebenslaut. Vielleicht wird man, wenn das Flugzeug mit seinen Bordlichtern wieder zu den Sternen aufsteigt, ihn noch singen hören, diesen Stern … Die Sekunden verrinnen wie Pulsschlag. Fliegt er noch? Jede Sekunde nimmt eine Chance mit sich fort. Es ist, als sähe man die Zerstörerin Zeit an der Arbeit. Als sähe man dieselbe Kraft, die in Jahrhunderten einen Tempel überwältigt, sich ihren Weg in den Granit bahnt und den Tempel in Staub verwandelt, hier, auf Sekunden zusammengedrängt, ihr Werk an den zwei Menschen und ihrem Flugzeug verrichten.
    Jede Sekunde nimmt etwas mit sich fort. Fabiens Stimme, Fabiens Lachen und Lächeln. Das Schweigen gewinnt Raum. Breitet sich immer weiter und schwerer aus, wie ein Meer.
    Dann sagt einer:
    »Ein Uhr vierzig. Äußerste Grenze für den Betriebsstoff. Unmöglich, daß sie noch fliegen.«
    Und nun ist Friede.
    Etwas Bitteres und Fades legt sich auf die Lippen, wie am Ende einer Reise. Etwas hat sich erfüllt, wovon man nichts weiß; etwas, wovon man ein wenig Herzweh spürt. Etwas von der Traurigkeit, die über zerstörten Fabriken herrscht, ist über diesem Gefüge von Nikkei und Kupferadern. All dieses Gerät scheint unnütz, wirr, abgestorben wie totes Geäst. Es bleibt nichts mehr übrig, als den Tag abzuwarten.
    In ein paar Stunden wird ganz Argentinien an den Tag emportauchen, und die Männer hier verharren wie an einem Strand angesichts
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