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Nachtflug

Nachtflug

Titel: Nachtflug
Autoren: Antoine de Saint-Exupéry
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geklammert. Er klammerte sich auch jetzt noch daran, aber sieh da, er fühlte seine Hände nicht mehr, die durch den Krampf erstarrt waren. Er wollte die Finger bewegen, um etwas von ihnen zu empfinden: er spürte nicht, ob sie ihm gehorchten. Irgend etwas Fremdes war da an den Enden seiner Arme. Fühllose, schlaffe Lappen. Er dachte: ›Ich muß mir ganz stark vorstellen, daß ich drücke …‹ Er spürte nicht, ob der Gedanke bis in die Hände gelangte. Er spürte nur die Schmerzen in den Schultern von den Stößen des Steuers und dachte: ›Es wird mir entgleiten. Meine Hände werden sich öffnen …‹ Aber er erschrak sogleich über seine eigenen Worte, denn er glaubte zu fühlen, wie seine Hände diesmal wirklich der Zauberkraft der Vorstellung gehorchten und sich langsam öffneten, um ihn dem Dunkel auszuliefern. Er hätte noch immer kämpfen, seine Chance versuchen können: es gibt kein äußeres Verhängnis. Aber es gibt ein inneres Verhängnis: es kommt ein Augenblick, in dem man entdeckt, daß man verwundbar ist; dann wird man zu falschen Entschlüssen hingezogen wie der Schwindlige in den Abgrund. Und in ebendiesem Augenblick war es, daß über seinem Kopf in einer Lücke des Gewölks ein paar Sterne sichtbar wurden, wie ein tödlicher Köder am Grund einer Reuse. Er sagte sich wohl, daß das eine Falle sei: man sieht drei Sterne in einem Loch, man steigt zu ihnen hinauf, dann kann man nicht wieder hinunter und mag da oben bleiben und Sterne beißen .
    Aber sein Hunger nach Licht war so stark, daß er aufstieg.
XVI
    Er stieg, die Schwankungen nun besser ausgleichend, dank dem Halt, den sein Blick an den Sternen hatte. Ihr blasser Schein zog ihn magnetisch an. Er hatte so lange auf der Suche nach einem Licht geschmachtet, daß er auch von dem dürftigsten nicht wieder abgelassen hätte, sondern hungrig darumgekreist wäre, wie um einen Herbergsschimmer, bis an seinen Tod. Und hier stieg er zu ganzen Gefilden von Licht hinauf.
    Er erhob sich nach und nach in dem Brunnenschacht, der sich über ihm geöffnet hatte und sich unter ihm wieder schloß. Und die Wolken verloren, je höher er stieg, ihre schmutzige Düsternis, glitten wie immer reinere und weißere Wogen auf ihn zu. Fabien tauchte empor.
    Staunen überwältigte ihn: die Helligkeit war so, daß sie ihn blendete. Er mußte sekundenlang die Augen schließen. Er hatte nie zuvor geglaubt, daß Wolken bei Nacht blenden könnten. Aber der volle Mond und alle Sternbilder verwandelten sie in ein gleißendes Meer. Das Flugzeug war mit einem Schlage, mit der Sekunde, in der es hervortauchte, in eine Stille geraten, die wie ein Wunder schien. Nicht eine Luftschwankung hob oder senkte es. Wie eine Barke, die die Mole passiert, glitt es in stille Gewässer. Es schwamm in niegesehenem, entlegenem Teil des Himmels, wie in einer Bucht der Inseln der Seligen. Das Wettergewölk unter ihm war wie eine andere Welt, dreitausend Meter dick, von Böen, Wasserwirbeln, Blitzen durchrast; aber die Oberfläche, die es den Gestirnen zukehrte, war von Kristall und Schnee.
    Es war Fabien zumute, als sei er in Zaubersphären geraten, denn alles wurde leuchtend, seine Hände, seine Kleider, seine Tragdecks, und das Licht kam nicht von den Gestirnen herab, sondern löste sich, unter ihm und rings um ihn her, aus dieser weißen Fülle. Die Wolken drunten strahlten allen Schnee wider, den sie vom Monde empfingen. Die rechts und links, hoch wie Türme, desgleichen. Eine Milch von Licht floß und schwamm allenthalben, in der das Flugzeug badete. Fabien sah sich um und sah, daß der Funker lächelte.
    »Besser hier!« schrie er.
    Aber die Stimme verlor sich im Dröhnen des Flugs, Lächeln war die einzige Verständigung. ›Ich bin vollkommen wahnsinnige dachte Fabien, ›daß ich hier lächle: wir sind verloren.‹ Gleichviel: tausend schwarze Arme hatten ihn freigegeben. Man hatte ihm die Fesseln gelöst, wie einem Gefangenen, den man für eine letzte Weile allein unter Blumen spazieren läßt. ›Zu schön‹, dachte Fabien. Sie irrten unter Sternen umher, dichtgehäuft ringsum wie ein Schatz, in einer Welt, wo nichts, absolut nichts Lebendiges war außer ihm, Fabien, und seinem Gefährten. Gleich jenen Dieben im Märchen, die in die Schatzkammer eingemauert sind, aus der sie nicht wieder herauskommen werden. Unter eisfunkelndem Geschmeide irren sie umher, unermeßlich reich, doch zum Tode verurteilt.
XVII
    Einer der Funker von Commodoro Rivadavia, Station in Patagonien, machte eine
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