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Nachtflug

Nachtflug

Titel: Nachtflug
Autoren: Antoine de Saint-Exupéry
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Meer von Sand. Und so ließ er sie wenigstens Steine aufrichten, die die Wüste nicht verschlingen könnte.
XV
    Dieser gefaltete Zettel war vielleicht die Rettung: Fabien öffnete ihn mit zusammengebissenen Zähnen.
    »Unmöglich, mit Buenos Aires Verbindung zu bekommen. Ich kann nicht mal mehr arbeiten, da ich Funken in die Finger bekomme.« 
    Fabien wollte gereizt antworten, aber als er die Hände vom Steuer nahm, um zu schreiben, fühlte er sich wie von einer gewaltigen Woge schwankend gehoben mitsamt seinen fünf Tonnen Metall. Er gab es auf. 
    Seine Hände schlossen sich wieder ums Steuer und zwangen den Schwall unter sich. 
    Er holte tief Atem. Wenn der Funker aus Angst vor dem Gewitter die Antenne einzog, würde er ihm nach der Landung das Gesicht zerbleuen. Er fühlte sich besessen von der Idee, um jeden Preis mit Buenos Aires in Verbindung zu kommen, gleich als hätte man ihnen von dort aus, über fünfzehnhundert Kilometer weg, ein Rettungstau zuwerfen können. In der Finsternis hier, ohne das kleinste blinzelnde Licht, schwächstes Herbergslicht, das ihm bezeugt hätte, daß die Erde noch stünde, brauchte er wenigstens eine Stimme, eine einzige, wenngleich aus einer Welt, die schon nicht mehr da war. Er hob die Faust und schwenkte sie in dem roten Lichtschein, um dem andern da hinten diese tragische Notwendigkeit deutlich zu machen; aber der saß über den öden Raum gebeugt, der die verhüllten Städte barg und die toten Lichter, und sah es gar nicht.
    Fabien wäre jedem Rat gefolgt, den ihm jemand zugerufen hätte. Er dachte: ›Und wenn man mir sagt, ich soll in der Runde herumfliegen, so fliege ich in der Runde herum, und wenn man mir sagt, ich soll direkt nach Süden fliegen …‹ Sie waren irgendwo da, die Länder, die in Frieden unter den großen Mondscheinschatten ruhten. Die Kameraden da drunten, die jetzt geborgen im Lampenlicht -Lampen schön wie Blumen - über ihre Karten gebeugt saßen, allwissend und allmächtig: sie wußten, wo diese Länder lagen. Aber er, was wußte er, hier inmitten von Böen und von Nacht, die ihren schwarzen, reißenden Strom ihm entgegenwälzte mit der Geschwindigkeit eines Bergsturzes. Man konnte doch nicht einfach zwei Menschen im Stich lassen hier in den Wolken zwischen Wirbeln und Flammen. Unmöglich. Man würde ihm zurufen: »Kurs auf zweihundertvierzig …«, und er würde auf zweihundertvierzig drehen. Aber er war allein. Es war, als ob auch die Materie sich empörte. Bei jedem Heruntersacken vibrierte der Motor so stark, daß das ganze Flugzeug ins Zittern geriet wie vor Zorn. Fabien wandte seine ganze Kraft auf, um es zu beherrschen, den Kopf zum Schaltbrett gebückt, den Blick auf den künstlichen Horizont gerichtet, denn draußen konnte er Erde und Himmel nicht mehr unterscheiden in diesem Urweltsdunkel. Aber die Zeiger der Instrumente schwankten immer schneller, ließen sich immer schwerer verfolgen. Schon machte er, von ihnen getäuscht, falsche Bewegungen, verlor seine Höhe, geriet immer mehr in Verwirrung. Er las die Höhe ab: fünfaundert Meter. Das war die Höhe der Hügel. Er fühlte ihre schwindligen Wogen gegen sich anrollen. Es war ihm, als ob all diese Massen Erdreichs, deren geringste genügt hätte, ihn zu zerschmettern, von ihrem Grunde losgerissen wären, losgeschraubt, und um ihn zu kreisen begännen wie betrunken, eine Art Abgrundstanz begännen um ihn her, der sich enger und enger um ihn zusammenzog.
    Da faßte er seinen Entschluß. Auf die Gefahr hin, zu zerschellen, wollte er landen, gleichviel wo. Und um wenigstens die Höhen zu vermeiden, schoß er seine einzige Leuchtrakete ab. Sie flammte auf, drehte sich, beleuchtete eine Fläche, in der sie verlosch: es war das Meer.
    Er dachte sehr rasch: ›Verloren. Um vierzig Grad versetzt. Das ist ein Zyklon. Wo ist das Land?‹ Er drehte voll nach Osten. Er dachte: ›Ohne Leuchtrakete jetzt ist es mein sicherer Tod.‹ Das mußte eines Tages kommen. Und sein Kamerad da hinten … ›Er hat sicher die Antenne hochgezogen.‹ Aber er war ihm nicht mehr gram deswegen. Wenn er jetzt einfach die Hände öffnete, flog ihrer beider Leben daraus weg, wie ein bißchen Staub. Er hielt in seinen Händen das schlagende Herz seines Gefährten und das seinige. Und plötzlich erschrak er über seine Hände.
    In diesen Böen, die wie Widder gegen ihn anbockten, hatte er sich, um die Stöße des Steuers abzufangen, die sonst die Verbindungskabel zerrissen hätten, aus Leibeskräften an das Rad
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