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Nachtflug

Nachtflug

Titel: Nachtflug
Autoren: Antoine de Saint-Exupéry
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ersten Bücher, die nach dem Krieg überhaupt wieder den deutschen Lesern zugänglich gemacht wurden, war Wind, Sand und Sterne‹, - in einer Pappbroschur, für die viereinhalb Kilo Altpapier abgeliefert werden mußten. Nur wenige hatten, wie ich, das Glück, seine Bücher im Ausland schon in jungem Alter kennenzulernen. Wir verschlangen damals ›Tom Sawyer‹, Karl May und ›Huckleberry Finn‹. Worte und Sentenzen wie: Western Pacific‹, ›Mississippi‹, ›Das goldene Samarkand‹, ›Karawanenpfad‹ oder ›Auf der alten Seidenstraße‹ übten eine magische Wirkung aus. Und jetzt tauchten neue Chiffren auf, Codeworte, die unsere Phantasie auf eine neue, ferne Welt lenkten: »Agadir schweigt noch immer … Radiomeldung. 6.10 h. Von Toulouse an alle Stationen: Südkurier Frankreich - Amerika von Toulouse ab 5.45 h. Stop. Der Kurier von Asuncion kommt gut voran.«
    Schon einmal - 1783 - hatte sich ein Luftfahrtpionier für das Neue begeistert: »Besorge schnellstens Vorräte von Taft und Seilen, und du wirst die wunderbarsten Dinge der Welt erleben!« So verhieß Joseph Montgolfier seinem Bruder, als er dabei war, den Heißluftballon zu konstruieren.
    Eine so unverhüllt gezeigte Begeisterung hat es nach Saint-Exupery nicht mehr gegeben: »In Agadir hatten wir herrlichen Mondschein. Da habe ich mich entschlossen, unverzüglich zu starten, um das Erleben eines Nachtfluges nicht zu versäumen.« Er schrieb seine Bücher unmittelbar am Ort des Geschehens, zum Beispiel in der zugigen Streckenleiter-Baracke, an einem Tisch, der aus zwei Benzintanks und einem Brett bestand.
    Die heutige Fliegergeneration ist sachlicher, durch und durch cool ; sie würde sich lieber die Lippen zerbeißen, als im Farbspiel einer Nordlichtnacht über Grönland zu schwelgen. Und ohne Zweifel sind in unserer Welt die Sinnesarmen zahlreicher geworden, die nüchternen Rechner, die in einem St.-Elms-Feuer, einem flammenden Sonnenuntergang über dem Sambesi, einem Wetterleuchten über Java nichts als eine Formel zu sehen vermögen.
    Aber auch Saint-Exupery spricht keinesfalls stellvertretend für eine ganze Fliegergeneration. Schon damals gab es Haudegen, simple Abenteurer und nüchterne Jobber, denen ein Satz wie: »Ich bin in der wohltuenden Abendkühle gelandet. Punta Arenas!« genauso wenig bedeutete wie heute einem Besatzungsmitglied, das in neun Länder zwischenlandet, ohne einen einzigen Schritt vom Swimmingpool hinweg zu tun.
    Ein anderer Großer unter den Luftfahrtpionieren, Charles Lindbergh, äußerte einmal sinngemäß, ihm graue vor der Zeit, in der ein Pilot beim Heulen der Spanndrähte nicht mehr das gleiche empfände wie er - ja, sie gar nicht mehr wahrnähme.
    Oberflächlich betrachtet, ist diese Zeit längst gekommen. Doch die Schönheit, die »Romantik« der Welt hat sich keinesfalls geändert. Sie hat durch das Vordringen bis in die Stratosphäre sogar noch an Nuancen gewonnen. Die Wahrnehmungsfähigkeit - nur sie ist verkümmert. Saint-Exupery macht uns heute neu bewußt, was wir aufgegeben haben, wenn wir über dem Gangesdelta mit seinem verwirrten Liniengeflecht die Vorhänge zuziehen, um uns einen alten Bordfilm anzusehen, für den wir auf der Erde keine Mark mehr opfern würden: Steine statt Brot.
    Sterben, diese Treulosigkeit … Saint-Exupery, am 29. Juni 1900 in Lyon, Bellecourplatz 2, geboren, am 7. April 1930, zwischen ›Südkurier‹ und ›Nachtflug‹, zum Ritter der Ehrenlegion ernannt, verließ, nachdem er 1943 den ›Kleinen Prinzen‹ geschrieben hatte, am 31. Juli 1944 die Erde, die er so liebte: Nach Kriegsausbruch läßt er sich, trotz zahlreicher Widerstände, im November 1939 der strategischen Fernauftlärergruppe 2/33 zuteilen. ›Flug nach Arras‹ legt Zeugnis von dieser Zeit ab: »Kein Zweifel: Ich träume.« Die magische Beschwörung einer Zeit voller Bitternis und Enttäuschung. Er scheidet wie in einem Traum: sein Tod ist nie konkret beweisbar geworden. Er kehrt einfach nicht zurück. Er startet mit seiner ›Lightning‹ von Borgo auf Korsika zu seinem letzten Flug. ›Der kleine Prinz‹ hat seinen Tod vorweggenommen:
    »Es wird aussehen, als wäre ich tot, und das wird nicht wahr sein …«
    Rudolf Braunburg
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    1 Rene Quinton, ›Maximes sur la Guerre‹, Paris 1930.
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