Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtflug

Nachtflug

Titel: Nachtflug
Autoren: Antoine de Saint-Exupéry
Vom Netzwerk:
plötzliche Bewegung, und alle, die noch auf Wache waren, drängten und beugten sich um ihn.
    Beugten sich über ein unbeschriebenes, hart beleuchtetes Stück Papier. Die Hand des Mannes am Apparat zögerte noch, bewegte den Bleistift hin und her, ließ die Buchstaben noch nicht ans Licht. 
    »Gewitter?«
    Der Funker nickte. Die knatternden Störungen erschwerten den Empfang. 
    Dann schrieb er ein paar unleserliche Zeichen hin. Dann Worte. Dann konnte man den Text herstellen:
    »In dreitausendachthundert über dem Gewitter abgeschnitten. Haben vollen Kurs West landwärts, da wir über See abgekommen waren. Unter uns alles blockiert. Wir wissen nicht, ob wir immer noch über See sind. Teilt mit, ob sich Unwetter landwärts erstreckt.« Man konnte dieses Telegramm der Gewitter wegen nur von Station zu Station nach Buenos Aires weitergeben. Die Nachricht nahm ihren Weg durch die Nacht wie Feuerzeichen von Berg zu Berg.
    Buenos Aires ließ antworten: 
    »Unwetter überall im Inland. Wieviel Betriebsstoff habt ihr noch?« 
    »Eine halbe Stunde.«
    Und diese drei Worte liefen von Station zu Station nach Buenos Aires zurück, Das Flugzeug war dazu verurteilt, vor Ablauf von dreißig Minuten in einen Zyklon zu tauchen, der es herunterzerren würde bis an den Boden.
XIII
    Riviere sitzt in Gedanken. Er hat keine Hoffnung mehr: diese zwei werden zugrunde gehen irgendwo in der Nacht. Ein Bild kommt ihm in den Sinn, das sich ihm als Kind eingeprägt hat: man ließ einen Teich ab, um einen Ertrunkenen zu finden. Auch jetzt wird man nichts finden, ehe nicht die Flut der Dunkelheit abgelaufen ist von der Erde, ehe nicht die Steppen und Felder und Sandflächen wieder zutage treten. Bauern werden dann vielleicht zwei Kinder finden, die zu schlafen scheinen, den Arm überm Gesicht, hingespült in Gras und gelben Sand auf friedlichem Grund. Ertränkt von der Nacht.
    Riviere denkt an Herrlichkeiten, die in den Tiefen der Nacht verborgen sind wie in einem Fabelmeer … Die Apfelbäume, die den Tag erwarten mit allen ihren Blüten im Finstern, Die Nacht ist reich, voll von Düften, von schlafenden Lämmern und von Blumen, die noch keine Farbe haben.
    Nach und nach werden sie an den Tag steigen, die fetten Ackerfurchen, die tauigen Wälder, die frischen Kleewiesen. Aber zwischen den jetzt harmlosen Bergen und den Steppen und den Lämmern, mitten in der friedlichen Ordnung der Erde, werden zwei Kinder liegen, als schliefen sie. Und etwas wird hinübergeglitten sein aus der sichtbaren Welt in eine andere. Riviere denkt an Fabiens Frau, die jetzt in zärtlicher Angst wartet: ihre Liebe war ihr nur eben für eine Weile geliehen, wie ein Spielzeug einem armen Kinde.
    Riviere denkt an Fabiens Hand, die noch für ein paar Minuten sein Schicksal am Steuer hält. Diese Hand, die geliebkost hat. Die sich auf eine Brust gelegt und einen Aufruhr darin erweckt hat. Die sich auf ein Gesicht gelegt und dieses Gesicht verwandelt hat. Wunder wirkende Hand.
    Fabien irrt über dem Glanz eines Wolkenmeeres umher, aber tiefer unten ist die Ewigkeit. Er ist verloren zwischen den Sternbereichen, deren einziger Bewohner er ist. Er hält die Welt noch in den Händen und gegen seine Brust gewiegt. Er umkrampft in seinem Steuer allen Lebensbesitz und führt den nutzlosen Schatz, den er bald hingeben muß, verzweifelt von Stern zu Stern.
    Irgendeine Funkstelle hört ihn vielleicht noch. Das einzige Band zwischen Fabien und der Welt ist eine summende Welle, ein kleines Getön in Moll. Keine Klage. Kein Schrei. Der reinste Laut, den Verzweiflung je hören ließ.
XIX
    Robineau riß ihn aus seiner Einsamkeit: 
    »Herr Direktor, ich habe mir gedacht … man könnte vielleicht versuchen …« 
    Er hatte gar nichts vorzuschlagen, aber er wollte seinen guten Willen bezeugen. Er hätte ums Leben gern eine Lösung gefunden und zerbrach sich den Kopf wie über ein Silbenrätsel. Er fand immer Lösungen, auf die Riviere nie hörte: »Sehen Sie, Robineau, es gibt keine Lösungen im Leben. Es gibt Kräfte in Bewegung, die muß man schaffen; die Lösungen folgen nach.« So war denn Robineau bemüht, auch seinerseits unter der Zunft der Mechaniker ein solche »Kraft« zu schaffen, eine bescheidene Kraft, die sich darauf beschränkte, Schrauben vor dem Verrosten zu bewahren. Aber die Ereignisse dieser Nacht versetzten ihn in Hilflosigkeit. Seine Inspektorenwürde hatte keine Macht über die Gewitter, noch auch über ein Gespensterflugzeug, das sich da draußen herumschlug,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher