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Nachtflug

Nachtflug

Titel: Nachtflug
Autoren: Antoine de Saint-Exupéry
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Süden gaben ihm, einzigem Verfechter der Nachtflüge, unrecht. Ein Unfall in Patagonien würde seinen Gegnern zu einer so starken moralischen Position verhelfen, daß sein Glaube an die Sache vielleicht in Zukunft ohnmächtig sein würde; denn sein Glaube war nicht erschüttert: geschah wirklich ein Unglück, so war eben irgendeine Lücke in dem Gewebe, das er geschaffen, daran schuld, und das Unglück brachte diese Lücke ans Licht und bewies im übrigen nichts.
    »Vielleicht sind Beobachtungsstationen im Westen nötig … Man wird ja sehen.‹ - ›Ich habe‹, dachte er weiter, ›genau die gleichen guten Gründe, auf meiner Sache zu bestehen wie bisher, und dazu eine Ursache zu Unglücksfällen weniger: nämlich die, die sich jetzt herausgestellt hat und beseitigt werden wird.‹ Fehlschläge kräftigen den Starken. Nur spielt man leider gegen die Menschen ein Spiel, in dem die wahre Bedeutung der Dinge so wenig zählt. Man gewinnt oder verliert nach dem bloßen Schein: Scheinsiege, deren man sich eher schämt, oder Scheinniederlagen, die einem aber das Weiterwirken unmöglich machen. 
    Riviere läutete an.
    »Noch immer keine Meldung von Bahia Blanca?«
    »Nein.«
    »Rufen Sie mir die Station ans Telephon.« 
    Fünf Minuten später: 
    »Warum melden Sie nichts?« 
    »Wir hören nichts von dem Kurier.« 
    »Er sendet nichts?«
    »Wir wissen es nicht. Zu viele Gewitter. Auch wenn er senden würde, würden wir’s nicht hören.«
    »Hört Trelew etwas?«
    »Wir hören Trelew nicht.«
    »Telephonieren Sie.«
    »Wir haben’s versucht: die Leitung ist unterbrochen.«
    »Was für Wetter bei Ihnen?«
    »Drohend. Blitze in West und Süd. Sehr schwül.«
    »Wind?«
    »Noch schwach, aber höchstens noch auf zehn Minuten. Die Blitze kommen schnell näher.«
     Schweigen.
    »Bahia Blanca? Sind Sie noch da? Gut. Rufen Sie uns in zehn Minuten wieder an.« 
    Und Riviere blätterte in den Telegrammen der Südstationen. Alle meldeten, daß sie nichts von dem Flugzeug hörten. Einige antworteten überhaupt nicht mehr, und der Umkreis des Schweigens wurde immer größer auf der Karte - dort, wo die kleinen Städte sich bereits unter dem Zyklon duckten, alle Türen geschlossen, jedes Haus in den Straßen ohne Licht, abgesperrt von der Welt, verloren in der Nacht wie ein Schiff. Erst der Morgen würde sie erlösen. Trotzdem hielt Riviere, über die Karte gebeugt, immer noch an der Hoffnung fest, irgendwo eine Zuflucht, einen Rest klaren Himmels zu entdecken, denn er hatte telegraphisch die Polizei von über dreißig Provinzstädten um Wetterberichte ersucht, und die Antworten begannen einzulaufen. Gleichzeitig hatten die Funkstellen auf zweitausend Kilometer hin Befehl, sowie sie etwas von dem Flugzeug hörten, binnen dreißig Sekunden Buenos Aires zu benachrichtigen, das ihnen dann die Lage der Zufluchtsstelle mitteilen würde, zur Weitergabe an Fabien.
    Die Schreiber, auf ein Uhr nachts bestellt, hatten sich wieder in den Büros eingefunden. Geheimnisvolles Getuschel ging um, daß möglicherweise die Nachtflüge aufgehoben werden würden und daß selbst der Europakurier nur mehr am Tage starten würde. Sie redeten mit leisen Stimmen von Fabien, von dem Zyklon und vor allem von Riviere. Sie malten sich aus, wie er jetzt wohl irgendwo ganz nahe von ihnen saß, immer mehr zusammensinkend unter dieser Absage, die die Natur selber ihm erteilte.
    Aber alle die Stimmen erloschen: Riviere war soeben in der Tür erschienen, in seinen Mantel geknöpft, den Hut in den Augen, wie immer, ein ewiger Reisender. Er trat ruhig auf den Bürovorsteher zu:
    »Es ist ein Uhr zehn, sind die Papiere des Europakuriers in Ordnung?« 
    »Ich … ich dachte …«
    »Sie haben nicht zu denken, sondern zu tun, was Ihnen befohlen ist.«
    Er wandte sich langsam zu einem offenen Fenster, die Hände im Rücken gekreuzt. Ein Schreiber trat an ihn heran: 
    »Herr Direktor, wir bekommen nur noch wenige Antworten. Man meldet, daß im Inland schon viele Telegraphenverbindungen zerstört sind .« 
    »Gut.«
    Riviere, unbeweglich, schaute in die Nacht. Jede Meldung bedeutete eine Bedrohung des Kuriers. Jede Stadt, deren Verbindung noch nicht zerstört war und die noch antworten konnte, berichtete von dem verheerenden Vormarsch des Zyklons. »Er kommt aus dem Innern, von den Kordilleren. Er fegt die ganze Strecke entlang, auf das Meer zu .« 
    Riviere schaute prüfend empor. Zu leuchtend diese Sterne. Zu feucht die Luft. Eine unheimliche Nacht. Sie verfaulte
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