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Nachtflug

Nachtflug

Titel: Nachtflug
Autoren: Antoine de Saint-Exupéry
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hören. Ihn aufsteigen, dröhnen und entschwinden hören, wie den gewaltigen Schritt einer Armee auf dem Marsch in die Sterne.
    Riviere geht mit verschränkten Armen durch die Schreiber hindurch. Vor einem Fenster bleibt er stehen, horcht und denkt. 
    Hätte er auch nur einen Start abgesagt, so wäre die Sache der Nachtflüge verloren gewesen. Aber er ist den Schwächlingen, die morgen über ihn zetern werden, noch in dieser selbigen Nacht zuvorgekommen. 
    Sieg … Niederlage … diese Worte haben keinen Sinn. Begriffe, Bilder, unter denen das wahre Leben sich regt und schon wieder neue Bilder schafft. Ein Sieg schwächt ein Volk, eine Niederlage erweckt es neu. Die Niederlage, die Riviere erlitten hat, ist vielleicht eine Lehre, die den vollen Sieg näher bringt. Das Geschehen en marche allein gilt.
    In fünf Minuten werden die Funkstellen die Stationen alarmiert haben. Auf fünfzehntausend Kilometer hin wird das Brausen des Lebens wieder surren, und alle Zweifel und Fragen werden darin gelöst sein. 
    Schon steigt ein Orgelklang auf: das Flugzeug. Und Riviere kehrt mit langsamen Schritten an seine Arbeit zurück, durch die Schreiber hindurch, die sich unter seinem harten Blick ducken. Riviere der Große, Riviere der Siegreiche, der die Last seines Sieges trägt.

Nachwort
    Als 1931 ›Nachtflug‹ erschien, hatte Saint-Exupery seinen Pilotensitz längst mit dem Direktorensessel eines Streckenleiters vertauscht. 1929, als er ›Südkurier‹ schrieb, war er chef de poste am afrikanischen Cap Juby; wenig später wurde er Direktor der argentinischen Luftlinie und mit der Durchführung der patagonischen Strecken betraut. Wer in Saint-Exupery immer nur den Piloten und kühnen Kämpfer hinter dem Steuer sieht, wird ihm nicht gerecht. Gerade diese Doppelfunktion macht den Reiz des ›Nachtflug‹ aus. Hier spricht nicht nur der Flieger, der sich mit Unwetterfronten und Wirbelstürmen herumschlägt. Hier ist auch von einer anderen Art des Kampfes die Rede: gegen unzulängliche Bürokratie und praxisfremde Planung, für oder wider das eigene Pflicht- und Verantwortungsbewußtsein. Und so bildet die Gestalt des Bodenorganisators, Riviere, den mehr als ebenbürtigen Gegenpol zu den Erfahrungen der Piloten. Riviere ist ein Mann eiserner Disziplin, für den sich der einzelne den Zielen und Zwecken der Gesellschaft unterzuordnen hat. Seine Beschlüsse sind oft gegen die eigenen Piloten gerichtet. Wenn man Saint-Exuperys Bücher mit seinen Erlebnissen identifiziert, wird man notgezwungen auch in einem Mann wie Riviere einen Teil seines Wesens sehen müssen. Freilich: die Härte, die Riviere gegen seine Piloten anwendet, die Selbstverleugnung und Unterordnung, die er erwartet, hat Saint-Exupery stets auch auf sich selber bezogen. Manches an der in allen seinen Büchern dargestellten Heroik und eisernen Selbstdisziplin wird der heutigen Lesergeneration als übertrieben und ungerechtfertigt erscheinen. Um sie zu tolerieren und um die Wirkung seiner Romane bei der Erstveröffentlichung zu verstehen, muß man sie innerhalb der damaligen Zeitsituation betrachten.
    Der sprunghafte Fortschritt gerade erst gemachter Erfindungen, insbesondere auf dem Gebiet der Funktechnik und Aerodynamik, hatten das Bewußtsein über Grenzen hinaus erweitert, die eben noch als unüberwindlich galten. Die Erprobungsflüge auf neuen, längeren Strecken waren der physische Ausdruck dafür. Für unbezwingbar gehaltene Ozeane, Wüsten und Gebirgszüge ließen sich plötzlich mit neuem Fluggerät, stärkeren Motoren bezwingen. Damals wurde eine neu geplante Strecke wirklich noch als Pionierleistung von wagemutigen Piloten erflogen. Ihr Urteil hatte zumindest wesentlichen Einfluß auf die endgültige Entscheidung über Befliegbarkeit oder Einstellung einer Strecke.
    Diese Ära ging endgültig 1954 mit den Polflügen der SAS zu Ende, als Piloten die Möglichkeit einer Verbindung zwischen Europa und Nordamerika über den Nordpol erkundeten. Heute werden neue Strecken vom nicht fliegenden Management einer Fluggesellschaft eröffnet, bei Nichterfüllung des Ertragssolls oft stillschweigend wieder aufgegeben und Jahre später unter großem Reklameaufwand neu eröffnet.
    Sekundär hat seit Saint-Exupery der Kampf gegen Naturgewalten und geographische Gegebenheiten eine andere Form angenommen. Die Piloten des ›Südkurier‹, des ›Nachtflug‹ und von Wind, Sand und Sterne‹ bilden mit ihrem Flugzeug eine unzertrennliche Einheit. Wenn sie sich festschnallen,
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