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Nachtengel

Titel: Nachtengel
Autoren: Danuta Reah
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dann ermordet, ihre Leiche weggeworfen, unbekannt und vergessen, wie Treibgut weggespült. Und für das Mädchen, das am Strand bei Ravenscar gefunden wurde, gab es als einzigen Beweis ihrer Existenz eine Leiche im Schauhaus, ohne Namen und ohne Gesicht, nur eine Nummer. Und seit Pearse sein Geständnis begonnen hatte, beschäftigte Lynne die Frage: Gab es noch andere, die irgendwo verschwunden waren? Und dann war da noch Oksana.
    »Oksana«, sagte sie. Pearse nickte. »Sie wurde damals in der Nacht in der Nähe der Brücke gesehen.«
    »Ich kam da vorbei, als ich Nasim nach Hause brachte«, sagte er. »Ich tat so, als hätte das Auto eine Panne. Es war eine kalte Nacht. Sie ging zur Telefonzelle, um den Automobilclub anzurufen.« Er verzog das Gesicht. »Ich sagte ihr, dass mein Rücken zu sehr wehtäte, um so weit zu laufen. Ich hatte den Mantel, den ich Oksana geliehen hatte, im Auto. Nasim wusste nichts davon. Ich gab ihr also den Mantel, den sie zur Telefonzelle und wieder zurück tragen konnte.« Lynne erinnerte sich an die Zeugenaussagen: Eine Frau in einem roten Mantel, die am Straßenrand ging. Und als zusätzliches Detail zu der anderen Aussage: Die dunklen Haare der Frau und die schweren Metallknöpfe an dem Mantel. Natürlich. Einer hatte Nasim zur Telefonzelle gehen sehen, der andere hatte sie auf dem Rückweg bemerkt.
    Pearse sprach weiter. »Ich konnte es nicht riskieren, dass jemand kam und in der Beratungsstelle alles untersuchte. Zu viele Leute verlassen sich auf uns. Nachdem ich Nasim abgesetzt hatte, ging ich zur Brücke und ließ den Mantel dort. Dachten Sie an Gespenster, Inspector? Die Gespenster der unglücklichen Verstorbenen? Das ist alles Aberglaube, fürchte ich.«
    »Warum die Gesichter?«, fragte Lynne plötzlich. »Warum haben Sie ihre Gesichter zerstört?«
    Er sah überrascht aus. »Wegen ihrer Familien«, erwiderte er. »Ihre Familien würden es nicht wissen wollen. Es ist am besten, wenn ihre Familien es nie erfahren.«
    Gemma Wisharts Tod wurde Sean Lewis angelastet – einerseits, weil er es Roz Bishop gegenüber zugegeben hatte, und zum anderen wegen der Umstände bei seiner Verhaftung und der erdrückenden, sich gegen ihn häufenden Indizien. Seine Fingerabdrücke deckten sich mit denen, die in Gemma Wisharts Wohnung nach dem Einbruch genommen worden waren. Er war Sekretor, und seine Blutgruppe passte nachweislich zu der des Mannes, der sie vergewaltigt hatte. Der DNS-Test würde seine Tatbeteiligung endgültig bestätigen oder ausschließen. Farnham gab ihm keine Chance. Eine Durchsuchung seiner Wohnung förderte Zeitungsausschnitte zu Tage, einen über die Frau bei Ravenscar, einen über ›Katja‹, kleine, unwichtige Meldungen aus der Lokalpresse über unbekannte, tot aufgefundene Frauen, und eine Pornografie-Sammlung, bevorzugt Fotos von Fesselungen und Sado-Masochismus.
    Lewis ließ sie wissen, dass er bereit sei, mit ihnen zu sprechen. Er bestand darauf, dass er auf Roz Bishops Aufforderung hin in ihrem Auto gewesen sei, dass sie das Verhältnis mit ihm angefangen und ihn mit brutalen Sex- und Bondage-Spielen bekannt gemacht habe. »Es war das Szenario ›Vergewaltigung im Auto‹«, sagte er. Sie hätten sich ausgedacht, dass er sie treffen solle und sie vor ihrer Rückkehr nach Sheffield das Spiel gemeinsam durchspielen würden. »Sie wollte es so«, sagte er immer wieder. »Sie genoss es bis zu dem Moment, als Sie kamen.« Die Sache sei vielleicht ein bisschen heftig geraten, gab er schließlich zu. Er kenne sich mit so etwas nicht aus. Er hätte versucht, sich an ihre Anleitung zu halten. Deshalb hätte er das Pornomaterial besorgt, fügte er hinzu, um dieser älteren Frau mit einem Sinn fürs Exotische zu gefallen.
    Er gab zu, dass er mit Gemma Wishart in der Nacht, als sie verschwand, Sex gehabt hatte. Es sei im beiderseitigen Einverständnis geschehen. Vielleicht sei es ein bisschen hart zugegangen, aber sie mochte es so. Diese Fotos bewiesen es ja. Sie hatten sich in Manchester verabredet, und dann war sie losgefahren, so viel er wusste, zurück nach Sheffield. Über ihren Tod wusste er nichts. Er hatte Gerüchte gehört, dass sie als Prostituierte gearbeitet hätte, und angenommen, sie sei auf diese Weise umgekommen. Er hätte nichts damit zu tun.
    Als ihm Farnham die Beweise vorlegte, begann er zum ersten Mal Anzeichen von Nervosität zu zeigen. »Sie sind dazu da, dass Sie dem hier ein Ende setzen!«, schnauzte er seinen Anwalt an.
    Müde bat der Anwalt um
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