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Nachtengel

Titel: Nachtengel
Autoren: Danuta Reah
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alte, in die Wand eingebaute Kühlanlage. Sie war durch Auskleidung mit dickem Isoliermaterial und Polsterung verändert und auf die Größe eines Sargs verkleinert worden, eine luftdichte Falle für jeden, der darin festgehalten wurde. Anna Krleza war nicht die erste Person, die darin eingeschlossen worden war.
    Der Pathologe hatte diese Schlussfolgerung bestätigt, als Farnham noch einmal wegen ›Katjas‹ Tod mit ihm sprach. »Es ist nicht einfach, dies mit letzter Sicherheit festzustellen«, sagte er. »Ein Erstickungstod ohne äußerliche Verletzungen ist als besonders schwierig bekannt – und die Umstände beim Auffinden der Leiche sind ein wichtiges Indiz für die Diagnose.«
    Die Aussage, die Pearse machte, wich leicht von der ab, die Lynne von Michael Balit gehört hatte. Als Jugendlicher hatte er ein Verhältnis mit einem jungen Mädchen gehabt, das in der Nähe wohnte und schwanger wurde. »Ich wollte, dass sie mich heiratet«, sagte er, »aber sie … ich verstand es nicht. Auch damals schon war ich …« Er wies auf sein Äußeres. »Sie ließ ihre Tochter, unsere Tochter, bei ihren Eltern zurück. Sie wussten nicht, dass ich der Vater war, aber ich hielt den Kontakt die ganze Zeit während meiner Ausbildung und danach aufrecht, so gut ich konnte.«
    Jahre später hatte Pearse die Möglichkeit, als Priester in die Gegend zurückzukommen. Seine Tochter war jetzt sechzehn. »Ein Mitglied meiner Gemeinde. Ich war für sie verantwortlich, und sie hatte keine Ahnung, wer ich war. Lisa.« Er sah traurig aus, als er ihren Namen sagte. Er war erschrocken über das, was er damals vorfand. Das Zuhause, in dem seine Tochter mit ihren Großeltern wohnte, war streng und lieblos, und sie geriet in schlechte Gesellschaft, hatte mit Drogen und wahllosen sexuellen Abenteuern zu tun, also all die Probleme einer schwierigen Jugend. »Ich versuchte ihr zu helfen«, sagte er. Und sie fühlte sich zu dem Mann hingezogen, der sich mit ihr anfreundete. »Ihre Großeltern gaben ihr ein Zuhause«, sagte er, »aber Liebe gaben sie ihr eigentlich nie. Ich liebte sie.« Es wurde ihm damals klar, wie sehr sie ihm gefehlt hatte und wie sehr er ihr dadurch geschadet hatte, dass er weggegangen war. »Es war unverzeihlich«, sagte er. »Ich habe mir selbst nie verziehen.« Lynne erinnerte sich an das Foto in seinem Zimmer, das junge Mädchen in Weiß.
    »Sie haben ein Bild von ihr«, sagte sie, und er lächelte, aber sein Gesicht war traurig.
    »Ihre Firmung«, sagte er. »Das war, bevor …« Lisa hatte sich umgebracht. Sie war kurz zuvor schwanger geworden. Der Vater war unbekannt. »Der Arzt sagte, es sei eine versehentliche Überdosis gewesen«, sagte Pearse. »Sie sagen das ja immer, um die Familien zu schonen. Aber ich wusste es.« Sein Gesicht war weiß. »Die Sünde der Verzweiflung. Eine unverzeihliche Sünde. Sie ist in Verzweiflung gestorben, und ich habe in den Schriften und meinen Büchern kein einziges Wort gefunden, das mir den Trost gönnte, dass sie Vergebung gefunden hat. Sie wird in alle Ewigkeit diese Verzweiflung erleiden.« Er seufzte. »Damals habe ich das Priesteramt aufgegeben. Ich wusste, dass ich meine geistliche Aufgabe von da an auf den Straßen zu verrichten hatte.«
    »Und dann … Ich habe sie unten am alten Hafen getroffen. Vor einem Jahr. Sie kann nicht älter als siebzehn gewesen sein«, sagte er. Sie war Straßenprostituierte gewesen. »Ich sah sie öfter. Manchmal redete ich mit ihr. Sie sprach nicht gut Englisch. Sie hatte geglaubt, sie käme hierher, um als Tänzerin zu arbeiten, erzählte sie mir.« Er schüttelte den Kopf. »Die Leute, die sie hierher gebracht haben, warfen sie hinaus, als das Heroin sie in seinen Klauen hatte. Es ist schwer für diese Mädchen, wenn sie süchtig geworden sind. Sie können nicht zur Therapie in eine Klinik gehen. Und sie hatte schreckliche Angst vor einem Rückfall. Sie sagte mir, sie wolle sich ändern, wolle von der Straße und von den Drogen weg. Aber sie ist rückfällig geworden. Sie war nicht stark genug.« Er sah Lynne an und schien Farnham kaum wahrzunehmen. »Ich habe sie eingesperrt. Ich dachte, ich könnte sie vor den Drogen retten. Sie war tot, als ich zurückkam. Und dann wusste ich, dass ich sie tatsächlich gerettet hatte.« Er sagte leise: »Gemma.«
    »Sie hieß nicht Gemma«, sagte Lynne. »Wir kennen ihren Namen nicht.« Wir kennen sie überhaupt nicht. Sie dachte an das Mädchen, jung und allein auf den Straßen eines fremden Landes,
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