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Nachtengel

Titel: Nachtengel
Autoren: Danuta Reah
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sie kratzten und schabten nur. Sie musste die Wischblätter auswechseln. Die Geschäfte lagen wenig einladend im Dunkeln, nur aus einem Imbisslokal fiel gelbes Licht auf den Gehweg, aber niemand schien dort zu sein. In den Pubs mussten doch Leute sitzen, die der Regen von den Straßen vertrieben hatte. Die leeren Gehwege ließen sie an die nicht mehr fernen, langen Winterabende denken, und das Glänzen der nassen Steinplatten machte sie frösteln.
    In der Dunkelheit versuchte sie, eine Telefonzelle ausfindig zu machen. Sie hatte so gut wie versprochen, auf dem Rückweg bei Luke vorbeizukommen, und musste ihm Bescheid sagen, dass sie es erst spät oder wahrscheinlich gar nicht schaffen würde. Der anstrengende Stadtverkehr schien jetzt weniger schlimm als die Vorstellung der Dunkelheit in den Bergen, der einsamen Fahrt durch die öde Landschaft und der langen, gewundenen Straße bis nach Sheffield. Plötzlich war ihr die winterliche, nächtliche Fahrt über die Berge zuwider, obwohl die Winter heutzutage meistens nicht mehr so kalt waren, dass die Straßen in den Hochlagen unpassierbar wurden. Sie konnte sich an Fahrten in ihrer Kindheit erinnern, als sie mit ihrem Vater die Pennines überquerte und sie zwischen hohen Schneemauern fuhren und darauf hofften, dass der Schneepflug den Weg durch die Verwehungen frei gemacht hatte.
    Endlich! Sie hatte doch gewusst, dass es auf dem Platz Telefonzellen gab. Sie hielt auf dem Kopfsteinpflaster an, ging schnell hinüber und fluchte, als sie in eine Pfütze trat und ihr Schuh sich mit eisigem Wasser füllte.
    Sie humpelte weiter und spürte, wie ihre Zehen anfingen, am Schuh zu reiben, zog die Tür der Zelle auf und suchte in ihrer Geldbörse nach Kleingeld. Während sie auf das Freizeichen horchte, sah sie auf die Uhr. Halb acht, mindestens noch eine Stunde Fahrt bis nach Hause, dann ein großer Gin, oder nein, ein Whisky Mac, letzte Weihnachten hatte sie durch Luke diese sündhafte Mischung aus Whisky und Ingwerbier kennen gelernt. Danach ein heißes Schaumbad und schnell ins Bett. Sie spürte den leicht brennenden Ingwergeschmack schon auf den Lippen.
    Das Telefon klingelte, dann hörte sie ein Klicken und Lukes Stimme. »Hinterlassen Sie eine Nachricht, ich melde mich.« Der Anrufbeantworter. Jäh überkam sie Ärger, weil er nicht da war, wenn sie ihn brauchte. Das ist nicht fair! Sie hörte den Piepston und sagte schnell: »Hallo, ich bin in Glossop. Es ist ungefähr halb acht. Es hat länger gedauert, ich fahre direkt nach Hause. In ungefähr einer Stunde bin ich dort.« Sie wartete, ob er abnahm; manchmal ließ er das Gerät laufen, um zu hören, wer anrief, aber er hob nicht ab. »Also, bis morgen«, sagte sie leise und ziemlich deprimiert.
    Sie musste sowieso nicht unbedingt mit ihm sprechen, sagte sie sich, als sie zum Auto zurücklief. Es genügte, eine Nachricht zu hinterlassen. Aber sie hatte sich darauf verlassen, mit ihm reden zu können, nur zwei Minuten mit ihm verbunden zu sein, bevor sie die Fahrt über die hohen dunklen Berge und den einsamen Snake Pass antrat. Sie steckte den Schlüssel ins Schloss und hielt inne. Eine Zigarette. Sie würde eine Zigarette rauchen, denn sie fühlte sich immer noch erschöpft nach diesem harten Tag, und es wäre vernünftig, vor der Weiterfahrt fünf Minuten auszuruhen. Eigentlich – sie sah sich schnell um, aber die Straße war immer noch leer – hatte sie eine bessere Idee. Sie suchte in ihrer Tasche nach einem kleinen Beutel mit einem dünnen Joint, den Luke ihr am Abend zuvor gegeben hatte. Hatte sie ihn dabei? Ja!
    Sie saß ruhig da und inhalierte den Rauch, hielt die Luft an und atmete dann langsam aus. Sie spürte, wie sie sich entspannte und ihre Furcht vor der einsamen Fahrt sich langsam verflüchtigte. Ihr wurde angenehm schwindelig, und das Licht der Straßenlaternen brach sich und blitzte in den Regentropfen auf. Genug. Sie musste noch fahren. Sie stellte den Sitz bequemer ein und legte den Sicherheitsgurt an. Dann rückte sie den Spiegel zurecht, war sich aber bewusst, dass sie nur versuchte, das Unaufschiebbare hinauszuzögern. Ihre Furcht hatte sich in Müdigkeit verwandelt, und sie wäre am liebsten einfach sitzen geblieben, um im Schutz des Wagens die Stille zu genießen. Aber je eher sie weiterfuhr, desto besser.
    Sie drehte den Zündschlüssel um, sah in den Rückspiegel, legte den Gang ein, ließ die Kupplung kommen und fuhr los. Hinter sich hörte sie ein anderes Auto starten und anfahren. Sie war
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