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Nachtengel

Titel: Nachtengel
Autoren: Danuta Reah
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der Projektionsfläche. Luke musste gestern Abend länger geblieben sein und alles vorbereitet haben.
    Sie sah wieder auf die Uhr. Es war fast zehn nach acht. Joanna hätte eigentlich inzwischen hier sein sollen. Sie hatten verabredet, dass sie vor dem Meeting noch einmal einige der Hauptpunkte durchsprechen würden. Roz ging zum Computerraum, der am Ende von Joannas Reich lag. Roz nannte den Computerraum immer ›Lukes Zimmer‹, weil das bereits sein Arbeitsplatz war, bevor er in Joannas neue Gruppe versetzt wurde, und weil man ihn meistens hier antraf. Eigentlich hatten sie nicht genug Platz für ein eigenes Techniker-Zimmer. Joanna missfiel der Besitzerstolz, mit dem Luke sein Büro betrachtete. Sie hatte mit Roz über ihre Pläne gesprochen, die neuen Forschungsassistenten eine Weile hier unterzubringen, um Lukes Exklusivanspruch zu durchbrechen. Luke war das einzige Mitglied der Gruppe, das Joanna nicht selbst ausgewählt hatte, und sie gab sich keine Mühe, zu verbergen, dass sie ihn nicht mochte und es ihr nicht Leid täte, wenn er ginge. »Ich will Menschen mit erstklassiger Intelligenz«, hatte sie einmal zu Roz gesagt. Luke mit seinem Notenschnitt von 2,1 passte offenbar nicht in diese Kategorie, obwohl er ein ausgezeichneter Softwarespezialist war. Joanna hatte ihre Macken.
    Roz stieß die Tür auf und Kaffeeduft zog auf den Flur heraus. Luke saß an einem der Rechner, hatte seinen Stuhl zurückgeschoben, die Füße auf die Querstreben eines zweiten gestellt und hielt einen Becher in der Hand. Als sie eintrat, drückte er auf eine Taste, die alles auf dem Bildschirm verschwinden ließ. Dann drehte er sich auf seinem Drehstuhl herum. »Roz«, sagte er unverbindlich. Sie und Luke gingen dieser Tage behutsam miteinander um.
    »Hi. Danke, dass du alles fertig gemacht hast.« Trotz seiner unkonventionellen Art leistete Luke effiziente Arbeit.
    Er antwortete nicht, sondern sagte nur: »Willst du die Dias noch mal durchgehen?«
    »Sind sie noch genau so geordnet wie gestern?« Er nickte und stellte den Becher auf seinen Schreibtisch. Er trug Jeans und Turnschuhe. Das würde bei Joanna gar nicht gut ankommen. Sie fragte sich, ob er jemals daran dachte, vielleicht einen winzig kleinen Kompromiss einzugehen, um Joanna zufrieden zu stellen. »Zeig mir nur das erste, das wir geändert haben.«
    Er tippte Befehle ein, und Roz sah das Dia mit den Einkommensprognosen der Gruppe für die ersten zwei Jahre. Sie waren beeindruckend, besonders, weil die EU-Mittel farblich markiert waren, die Joanna entgegen allen Erwartungen bekommen hatte. Es war eindrucksvoll. »Das ist prima«, sagte sie.
    Luke sah immer noch auf den Monitor. »Wir brauchen ein Logo für die Gruppe«, sagte er.
    Roz sah kurz zu ihm hinüber. Luke kümmerte sich sonst nicht um Ideen wie Corporate Identity, Formulierung von Visionen, Qualitätsabläufe – kurz, die Art von Managementphrasen, die Joanna so liebte. Sein Gesichtsausdruck verriet nichts. Sie passte sich seiner gelassenen Art an und sagte: »Ja, vielleicht könntest du eines entwerfen.«
    Lukes Mundwinkel zuckte, als er sie ansah, und dann brachen beide in Gelächter aus. »Danke, Luke«, sagte sie noch einmal und meinte es ehrlich. Sie wusste jetzt, dass bei dem Meeting alles problemlos funktionieren würde. Er hatte dafür gesorgt. »Ich seh dich dann nachher.« Sie schaute auf die Uhr, als sie zu Joannas Büro zurückging, wo sie nachsehen wollte, ob Joanna inzwischen gekommen war.
    Acht Uhr fünfundvierzig. Joanna sollte auf jeden Fall schon hier sein. Roz fing an, sich Sorgen zu machen. Es sah Joanna gar nicht ähnlich, sich zu verspäten, besonders nicht bei so etwas Wichtigem wie diesem Meeting. Sie fühlte eine Spannung im Magen und zwang sich, locker zu bleiben. Dann ging sie wieder den Korridor entlang und durch die Pendeltüren. Bei Gemmas Tür blieb sie stehen, schloss auf und sah hinein. Das Zimmer war leer, der Schreibtisch gewissenhaft aufgeräumt, die Ablagen für Eingänge und Ausgänge leer. Über den Monitor lief der Bildschirmschoner. Der Computer war angeschaltet gewesen. Er sollte aus sein. Joanna würde durchdrehen, wenn sie das sähe. Wenn der Computer an und niemand im Zimmer war, hatte jedermann Zugang zu Gemmas Daten. Roz schaltete ihn ab und sah wieder auf die Uhr. Es war acht Uhr fünfzig. Sie und Joanna wollten sich eigentlich um neun treffen und die Tagesordnung durchgehen, um sich kurz vor Beginn noch einmal zu vergewissern, dass alles reibungslos klappen
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