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Nachtengel

Titel: Nachtengel
Autoren: Danuta Reah
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Paternosters. Er fuhr an der kahlen Wand zwischen Erd- und Zwischengeschoss nach oben, und die Nummern der Stockwerke erschienen an der Wand über ihrem Kopf, glitten vorbei, und dann taten sich die Öffnungen zu den Fluren auf, die danach wieder unter ihren Füßen verschwanden.
    An ihrem Korridor angekommen, verließ sie die Plattform so gewandt und routiniert, wie es nur jemand kann, der an einen Paternoster gewöhnt ist. In der Abteilung war nur das weit entfernte Summen einer Bohnermaschine zu hören, mit der die Putzfrauen ihre Morgenrunde beendeten. Die langen Flure lagen im Dunkeln, nur hier und da durch die Pendeltüren unterteilt. Sie schloss die Tür zu ihrem Büro auf, legte ihre Tasche ab und holte den Hefter mit den Unterlagen heraus, die sie und Joanna für das Meeting zusammengestellt hatten. Sie ordnete ihre Notizen für die Präsentation, prüfte nochmals jedes Detail des Vormittags und vergewisserte sich, dass alles vorbereitet war. Joanna betonte immer wieder, Erfolg erfordere nicht nur, dass man das Richtige tat und die richtigen Zahlen vorweisen, sondern auch, dass man sich selbst als erfolgreich darstellen konnte. Deshalb hatte Joanna das Kostüm von Mulberry gekauft, deshalb hatte sie die Porzellantassen und den guten Kaffee aus eigener Tasche beigesteuert.
    Roz sah auf die Uhr. Fast acht. Sie musste den Konferenzraum überprüfen, sich vergewissern, dass Luke seinen Teil erledigt hatte, dass alle Geräte bereitstanden und funktionierten, und sie musste sicherstellen, dass der Kaffee zum richtigen Zeitpunkt bestellt war. Sie schloss ihre Bürotür hinter sich ab und rekapitulierte die Dinge, die zu tun waren. Der Flur, auf dem sich ihre Räume befanden, lief um den Aufzugsschacht und das Treppenhaus herum. Er war leer, die Beleuchtung schlecht, und die Bürotüren waren verschlossen. Als sie ihr eigenes Büro verließ, hielt sie inne und sah auf das Schild an der Tür. Dr. Rosalind Bishop, Forschungsassistentin. Das nächste Büro war das von Joanna: Dr. Joanna Grey, Institutsleitung. Vor der Biegung kam dann die Doppeltür mit dem Ausgang zum Treppenhaus. Joanna hatte bei der Verteilung der Räumlichkeiten unmissverständlich angeordnet, dass ihr eigenes und das Büro von Roz nebeneinander am einen Ende des L-Flügels liegen und die so genannte Chefecke bilden sollten. Damit schien ihr der erforderliche Abstand zwischen ihnen und Gemma, der jungen, gerade promovierten Akademikerin, sowie Luke, dem Techniker, und den neuen Forschungsassistenten hergestellt, wer immer diese auch sein würden. Roz hatte es bedauert, dass ihre Loyalität Joanna gegenüber sie daran gehindert hatte, dies alles Luke zu erzählen. Es hätte ihn bestimmt amüsiert.
    Jemand war vor ihr im Flur, lief jedoch in die andere Richtung. Ohne Licht war es zu dunkel, um Einzelheiten erkennen zu können. Die Gestalt war zu groß, um Gemma sein zu können. Wer immer es war, er verschwand um die Ecke und ging auf Gemmas Büro zu. Roz stieß die zweite Tür auf. Entweder täuschten sie ihre Augen und es war doch Joanna – oder möglicherweise auch Gemma – oder es war jemand, der zu dieser Zeit nichts in diesem Teil des Gebäudes zu suchen hatte.
    Als sie um die Ecke bog, war der Korridor schon wieder leer. Wer immer es war, er musste um die nächste Ecke zu den Aufzügen zurückgegangen sein. Sie zuckte die Schultern und ließ die Sache auf sich beruhen. Sie stand vor Gemmas Büro und betrachtete den Zettel, der mit einem Reißnagel befestigt war. Dr. Gemma Wishart. Sie runzelte die Stirn. Gemmas Vertrag lief über ein volles Jahr. Was würde es wohl kosten, die Beschilderung zu aktualisieren? Aber bald würden die neuen Forschungsassistenten kommen, und Joanna plante, einen davon in Gemmas Büro unterzubringen. Vielleicht hatte sie vor, das Büro ohne Namen nur mit Forschungsassistenten beschildern zu lassen. Roz ging weiter den Korridor entlang.
    Neben Gemmas Büro war der Konferenzraum. Roz schloss die Tür auf und sah hinein. Alles war vorbereitet. Die Lamellen der Jalousien waren schräg gestellt, damit die Morgensonne nicht auf den Bildschirm fiel, um die Tische stand die richtige Anzahl von Stühlen – nur ein kleines Detail, aber Joanna würde gerade auf diese Einzelheiten Wert legen, mit denen die Gruppe den Eindruck von Effizienz hervorrufen sollte –, und der Overheadprojektor stand neben Joannas Stuhl am Kopfende des Tisches. Roz drückte auf den Knopf, und ein beleuchtetes Quadrat erschien genau in der Mitte
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