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Der Puls von Jandur

Der Puls von Jandur

Titel: Der Puls von Jandur
Autoren: Mara Lang
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Eins
    Der Tag, an dem Matteo Danelli unsichtbar wurde, war ein Montag. An jedem anderen Tag wäre es sofort aufgefallen. Nicht an einem Montag.
    Montags verließ seine Mutter Andrea die Wohnung für gewöhnlich im Morgengrauen und Brizio, sein Vater, war den ganzen Tag nicht ansprechbar. Er kam immer erst gegen Abend aus dem Bett gekrochen. Musste seinen Rausch ausschlafen. Was verständlich war nach einem durchzechten Wochenende, das Donnerstag um zwanzig Uhr begann und Sonntag gegen zwei Uhr morgens endete.
    Und so kam niemand in Matteos Zimmer, um ihn zu ermahnen jetzt endlich aufzustehen.
    Schlaftrunken würgte er das Läuten des Weckers ab und eine Stunde später schoss er erschrocken in die Höhe. Sieben Uhr vierzig. Shit! Montag – erste Stunde Mathematik bei Ehrenfels. Neun Verwarnungen hatte er bereits bei ihm kassiert. Mit der zehnten würde die Vorladung für die Eltern ins Haus schneien. Darauf konnte er gut verzichten.
    Matteo sprang aus dem Bett und schlüpfte in die Kleidung vom Vortag: schwarze Jeans, dunkelblaues Shirt mit dem Aufdruck »No need for label«, schwarze Socken; zum Schluss die Jacke übergeworfen. Im Flur zwischen seinem Zimmer und dem Bad stolperte er über einen einzelnen Schuh seines Vaters. Also war er gestern wieder einmal ins Delirium gefallen.
    Brizio war gebürtiger Italiener und Musiker von Beruf. Pianist, um genau zu sein. Und mehr sagte Matteo selten dazu, denn wie würde es sich anhören, wenn er das Wort »Bar« voransetzte? Total bescheuert, fand er. Also behielt er das für sich und nickte nur beiläufig, wenn die Leute den Beruf seines Vaters mit »Wow!« oder »Geil!« kommentierten. Es musste nicht jeder wissen, dass Brizio in einem heruntergekommenen Tanzschuppen sturzbetrunkene Mittfünfziger unterhielt und sich danach in schöner Regelmäßigkeit ein paar Drinks zu viel genehmigte.
    Logisch, dass Andrea dem nicht viel abgewinnen konnte. Sie hatte die Situation als »nicht länger tragbar« bezeichnet und die Scheidung eingereicht. In der Folge hatten Matteos Eltern Tisch und Bett getrennt (was in der zweihundert Quadratmeter großen Wohnung kein wirkliches Problem darstellte), und ihre Gespräche zu Hause beschränkten sich seither auf das Notwendigste. Vereinbarungen für Anwaltstermine zum Beispiel. Oder Standpauken für ihren Sohn. Die hielten sich allerdings in Grenzen, denn seit jenem Vorfall mit Jakob machte Matteo selten Schwierigkeiten.
    Worüber Andrea und Brizio froh sein konnten, wie er ihnen letzten Dienstag an den Kopf geworfen hatte. Er erledigte seine Schularbeiten, räumte den Müll runter und den Geschirrspüler ein. Hielt sein Zimmer in Ordnung, rauchte und trank nicht, nahm keine Drogen und lud keine Mädchen in die Wohnung ein.
    »Scheißmustergültig bin ich«, hatte er gesagt. »Und ihr? Ihr kriegt eure Ehe nicht auf die Reihe und fragt mich nicht mal, was ich davon halte, wenn ihr euch scheiden lasst. Oder bei wem ich wohnen will. Ach, verpisst euch doch beide!« Matteo hatte sich in sein Zimmer verdrückt und die Tür hinter sich zugeknallt. Weder Andrea noch Brizio waren ihm nachgegangen, um mit ihm zu reden.
    Weshalb musste man eigentlich keine Ausbildung machen, bevor man sich Kinder zulegte?
    Matteo kickte den Schuh beiseite, stürzte ins Bad und machte sofort wieder kehrt. Keine Zeit. Im Hinauseilen fuhr er sich mit allen Fingern durchs Haar. Er trug es halblang gestuft, ein unkomplizierter Schnitt, der obendrein cool aussah.
    An der Wohnungstür klebte ein Zettel. »Anwalt 18 Uhr«, stand da in Andreas Handschrift zu lesen. Matteo fragte sich, ob die Nachricht wohl ihm oder dem Vater galt.
    Seine Mutter machte ordentlich Druck, was die Scheidung betraf. Sie war Wirtschaftsanwältin, arbeitete in einer renommierten Großkanzlei und saß demnach an der Quelle. Aber zwei verflochtene Leben zu entwirren war nicht so einfach. Man musste eine Unmenge von Kleinigkeiten bedenken: wer die Wohnung bekommen sollte, das Wochenendhaus, die Möbel, die Autos, die Sparbücher und Fonds. Den Sohn.
    Am liebsten hätte Matteo eine eigene Bude bezogen, doch das durfte er nicht. »Mit fünfzehn bist du eindeutig zu jung dafür«, hatte Andrea gesagt und die musste es ja wissen. Bestimmt gab es da gesetzliche Vorschriften.
    Also würde er seine Zeit bis zur Volljährigkeit notgedrungen bei einem der beiden absitzen müssen. Bei wem, wusste er selbst nicht. Vielleicht von Montag bis Donnerstag bei Andrea. Die lebte ohnedies tagsüber im Büro und er hätte
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