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Nachtengel

Titel: Nachtengel
Autoren: Danuta Reah
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    Zuerstwar es wie ein Spiel. Der dunkle BMW war hinter ihr aus dem Parkplatz herausgefahren und ihr auf der Durchgangsstraße bis in die Stadtmitte von Manchester gefolgt. »Aufgeblasener Geldsack«, murmelte sie. Luke sagte das immer, wenn er jemanden sah, der einen Luxusartikel besaß, um den er ihn heimlich beneidete. Der BMW blieb bis zur Autobahn hinter ihr, und als alle drei Fahrbahnen leer vor ihm lagen, war der Fahrer zu ihrer Überraschung nicht mit Vollgas an ihr vorbeigezogen. Jedenfalls war der schnittige dunkle Wagen manchmal vor, dann wieder hinter ihr, aber immer in ihrer Nähe. Sie fing an, im Rückspiegel genauer auf den Fahrer zu achten, weil sie wissen wollte, ob es jedes Mal dasselbe Fahrzeug war. Aber die Fenster waren dunkel getönt. Protziger Fatzke! Ebenfalls eine Vokabel aus Lukes Wortschatz. Sie hatte den Eindruck, dass der Fahrer helle Haare hatte – blond oder vielleicht weiß? –, konnte es aber nicht genau erkennen.
    Als sie Manchester verließ, fing es an zu dämmern, und als sie auf der geraden Straße an den hohen Steinmauern und den Läden vorbei nach Glossop kam, war es bereits dunkel. Sie fuhr langsamer, als sie den großen Platz erreichte. Am Morgen war hier viel Verkehr gewesen. Die Leute, die aus den Geschäften kamen, liefen, ohne sich umzusehen, so sorglos über die Straße, als sei es Sache der Autofahrer, ihnen auszuweichen, und das hatte sie rasend gemacht. Sobald die Fußgänger ihr Auto wahrgenommen hatten, kümmerten sie sich nicht mehr darum und achteten nur noch auf den Gegenverkehr.
    Die Hinfahrt am Morgen war ihr richtig auf die Nerven gegangen. Am schlimmsten war es in der verkehrsreichen Stadtmitte gewesen, wo Ortskundige sie durch Hupen dermaßen belästigt und nervös gemacht hatten, dass sie zu schnell an den Schildern vorbeiflitzte und sich verfuhr, denn alle schienen nur darauf aus zu sein, die Fremde aus ihrem Ort hinauszudrängen.
    Deshalb hatte sie sich auf die Rückfahrt gefreut. Dann würde das Meeting hinter ihr liegen und nur noch der Heimweg vor ihr. Die Straßen würden leer sein, und nach dem anstrengenden Stadtverkehr erwartete sie eine ruhige Fahrt durch ländliche Gegenden, über den Snake Pass und die raue Höhenstraße durch das Coldharbour Moor, die abfallenden Serpentinen zwischen Kinder Scout und Bleaklow an Doctor's Gate vorbei; dann kamen die sanfteren, bewaldeten Hügel und der Ladybower-Staudamm, es ging durch öde Moore, wo die Strecke immer länger schien, als sie erwartet hatte, und schließlich durch die Außenbezirke von Sheffield, wo sie sich entspannen konnte.
    Die Fahrt durch Manchester war auf dem Rückweg ruhiger verlaufen, auf der Autobahn war viel los, aber es gab keine ungeduldigen Fahrer mehr, die an ihrer Stoßstange klebten und sie mit der Lichthupe belästigten. Die ausgedehnten Randbezirke von Ashton und Stalybridge wirkten eintönig und fast friedlich. Nur etwas war eigenartig …
    Sie hatte geglaubt, den BMW hinter sich gelassen zu haben, als sie die Autobahn an der Ausfahrt zur A57 nach Glossop verließ. Während sie allmählich ruhiger wurde und sich klar machte, dass der Tag vorbei und alles prima gelaufen war, dass sie ihre Sache gut gemacht hatte und alle zufrieden sein würden, sah sie ihn plötzlich wieder, zwei Autos vor ihr. Das Tageslicht war im Schwinden, und die Straßenbeleuchtung wurde bereits eingeschaltet. Man konnte nur schwer Einzelheiten erkennen, aber es schien derselbe Wagen zu sein.
    Weswegen war sie besorgt? Dass jemand die gleiche Route wie sie fuhr? Bestimmt taten das viele Leute. Aber es war ein Wagen, der auffiel, und er musste die ganze Strecke seit Manchester mit ihr Schritt gehalten haben. Oder vielleicht war es doch nicht der gleiche Wagen? Wie viele dunkle BMWs gab es denn auf den Straßen? Und wie viele hast du heute früh schon gesehen?
    Sie kam zu der Abzweigung mit dem Schild Sheffield in Richtung Woodhead Pass, kümmerte sich aber nicht darum, sondern bog rechts auf die A57 nach Glossop ab – eine einsame, schmale Straße mit dem passenden Namen Snake, die die Pennines vom südwestlichen Teil Sheffields her überquerte. Und bevor sie Sheffield erreichte, ging es – nach Glossop – noch durch ein ländliches Gebiet. Sie schien den BMW jetzt verloren zu haben.
    Als sie langsam auf den Marktplatz in Glossop zufuhr, wäre ihr irgendein Lebenszeichen recht gewesen. Es nieselte, und die Sicht durch die nasse Scheibe war schlecht. Sie schaltete die Scheibenwischer an, aber
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