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Nachtblüten

Nachtblüten

Titel: Nachtblüten
Autoren: Magdalen Nabb
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ihm flüchtig der Gedanke, daß sich die drückende Florentiner Hitze vielleicht leichter ertragen ließe, wenn er etwas schlanker wäre. Und schon fragte er sich, ob diese unvernünftige Nachurlaubseuphorie womöglich daher rührte, daß er sich vorgestellt hatte, nach der Völlerei in den Ferien, die er mit dem Besuch daheim entschuldigte, ein neuer Mensch zu werden, schlank und agil – was natürlich reines Wunschdenken gewesen war.
    »Nein, nein… Damit hat es gar nichts zu tun.« Er wußte jetzt, woher diese Aufbruchstimmung nach den Ferien kam. Aus der Schulzeit. Kühlere Temperaturen, neue Schuhe, neue Lehrer, ein neuer Anfang. Zufrieden, daß er das Gefühl eingeordnet hatte, rief er sich ins Gedächtnis, daß jedes neue Schuljahr ihm selbst nur Ungemach beschert hatte und seinen Lehrer jede Menge Verwirrung, und wandte sich wieder der Gegenwart zu. Er war übergewichtig, überhitzt und überarbeitet, und es lagen noch zwei brütend heiße Monate vor ihm. Aber wenigstens saß er jetzt hinter seinem großen Schreibtisch, und heutzutage warf ihm auch niemand mehr vor, unaufmerksam zu sein. Ausgenommen seine Frau.
    »Maresciallo?«
    »Sie ist da, Maresciallo. Die Prostituierte…«
    »Dann herein mit ihr, und sagen Sie den anderen, sie sollen lieber heimgehen und heute nachmittag wiederkommen. Wer unbedingt warten will, kann warten, aber das wird länger dauern.« Der Maresciallo hatte bereits zwei Monate geduldig daran gearbeitet, dem Mädchen die verständliche Angst vor der uniformierten Staatsgewalt zu nehmen. Und wenn er entschlossen war, das Vertrauen der kleinen Albanerin in diesem entscheidenden Moment nicht wieder zu verlieren, so ging es ihm dabei mehr um ihre als um seine Interessen. Wenn man einen Zuhälter festnahm und verurteilte, stand schon ein Dutzend andere bereit, um seinen Platz einzunehmen, aber für das Mädchen konnte die Geschichte noch ein glückliches Ende nehmen.
    »Setzen Sie sich, Dori.« Sie sah phantastisch aus, hochgewachsen, mit wunderschönen langen Beinen, kurzem, sehr blondem Haar, blauen Augen, vollen, geschminkten Lippen. Das Gesicht einer Porzellanpuppe. Bestimmt hätte sie ein gefragtes Model werden können, wenn sie das Glück gehabt hätte, anderswo als in Albanien geboren zu sein. »Wie geht es Ihnen?«
    »Ganz gut.«
    »Keine Übelkeit mehr?«
    »Es geht. Jedenfalls arbeite ich. Ich denke, es ist das beste, ich gehe anschaffen und verdiene Geld, solange ich kann.«
    »Noch einen Monat, und man wird es sehen.«
    »Na und? Manche Männer stehen drauf. Von den anderen Mädchen haben das schon viele erlebt. Sie wissen doch, wie die Männer sind. Es gibt etliche, die sind heiß auf uns, wenn wir unsere Tage haben. Die Schwangerschaft ist nicht mein größtes Problem.«
    »Wer schmeißt denn den Laden, jetzt wo Ilir sitzt?«
    »Sein Vetter Lek.«
    »Dachte ich mir.«
    »Macht für mich keinen Unterschied, oder? Lek ist in Ordnung…«
    »Aber?«
    »Nichts… Diese Freundin von mir… Sie wissen, der Brief und das Geld, das Sie gefunden haben… na ja, Lek hat mir ihre Adresse abgeluchst.«
    »Verstehe. Und es überrascht mich nicht. Er denkt wohl, sie ist genauso hübsch wie Sie, und Ilir sitzt.«
    »Sie irren sich. Er will Ilir nicht aufs Kreuz legen. Er ist doch sein Vetter. Darum hat Ilir seine Mädchen ja auch ihm anvertraut und nicht einem aus seiner Clique. Lek handelt nur in Ilirs Interesse. An einem Geschäft mit uns Mädchen wäre er sowieso nicht interessiert. Er hat eine Baufirma. Damit verdient er einen Haufen Geld.«
    Der Maresciallo war vollkommen im Bilde über den Mann und seine Baufirma, doch er behielt sein Wissen für sich. Er sagte nur: »Weiß Ihre Freundin, worauf sie sich da einläßt?«
    »Sie weiß, was sie eintauscht. Wissen Sie, wie man dort am Arsch der Welt, wo sie herkommt, über Frauen spricht? ›Eine Frau sollte mehr arbeiten als ein Esel, denn die Esel fressen Heu, die Frauen dagegen Brot.‹«
    »Na schön, Dori. Aber bedenken Sie, daß nicht all diese Mädchen soviel Glück haben wie Sie. Apropos, was ist denn nun mit Mario? Sie können ihn doch nicht ewig hinhalten. Ich dachte eigentlich, Sie wären gekommen, weil Sie sich endlich entschieden hätten.«
    Sie kramte Zigaretten und ein orangefarbenes Plastikfeuerzeug aus ihrer Handtasche und blickte sich dann zögernd um. Er schob ihr einen großen gläsernen Aschenbecher hin. »Also, wie sieht’s aus? Haben Sie sich entschieden?«
    »Meinen Sie wegen Mario oder in der anderen
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