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Nachtblüten

Nachtblüten

Titel: Nachtblüten
Autoren: Magdalen Nabb
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schaffen, und die mißhandelt und gefoltert irgendwo im Straßengraben landeten. Im jüngsten Fall war das Mädchen noch glimpflich mit ein paar Knochenbrüchen davongekommen. Sie war im achten Monat schwanger gewesen. Das Kind hatte überlebt.
    Trotzdem war es, nach ihren Erfahrungen in Albanien, die Staatsgewalt, die diese Mädchen fürchteten, waren es die Uniformen, die sie haßten.
    Wenn nur dieser Mario ein bißchen mehr Pep hätte, dann würde er ihr drohen, sein Angebot zurückzunehmen, statt blökend wie ein Schaf an ihrem Rockzipfel zu hängen. Das würde sie vielleicht aufschrecken, ihr klarmachen… Der Maresciallo hatte selber noch etwas in petto, aber er fühlte sich nicht berechtigt, seinen Trumpf auszuspielen. Einen, der sie, vielleicht zu Unrecht, mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung bringen würde. Lieber erst einmal abwarten. Er hatte schließlich eine Aufgabe zu erfüllen, und Capitano Maestrangelo, sein Vorgesetzter, hätte sicher kein Verständnis dafür, wenn er einen so wichtigen Fall vermasselte, in der Hoffnung, eine hübsche Nutte unter die Haube zu bringen. Es blieb ihm nichts weiter übrig, als stellvertretend Marios Rolle zu übernehmen. Er heftete seinen Blick auf die Karte seines Viertels, die hinter dem Mädchen an der Wand hing, und sagte: »Ich wollte das eigentlich nicht zur Sprache bringen…« Und das war die reine Wahrheit.
    »Was denn?« Sie wurde nervös, bekam den Rauch in die falsche Kehle, hustete.
    »Ich habe mit Mario gesprochen…«
    »Ach? Und haben Sie ihm abgeraten? Ist es das, was Sie mir sagen wollen? Haben Sie ihm empfohlen, sich eine nette kleine Italienerin zu suchen, ein anständiges Büromädchen…«
    »Nein, nein… nichts dergleichen. Nein…«
    »Was dann? Was?«
    »Genau das Gegenteil, Dori. Ich habe mein Bestes für Sie getan, aber Sie haben ihn zu lange hingehalten, verstehen Sie? Inzwischen hat er bestimmt darüber geredet – mit seinen Kollegen im Büro, sogar mit seiner Mutter. Können Sie sich vorstellen, was eine Mutter für ein Theater macht in so einem Fall? Wie sie ihm zusetzen wird? Mit Tränen und Wutanfällen, tagein, tagaus?«
    »Seine Mutter hat er mir gegenüber nie erwähnt. Und warum sollte er es ihr erzählen? Oder seinen Freunden? Was geht es irgendwen an, außer uns beiden?«
    »Na, irgendwann mußte er seine Familie einweihen.«
    »Er brauchte ihnen nicht zu sagen, daß ich auf den Strich gehe.«
    »Aber er konnte ihnen nicht verschweigen…«
    »Daß ich Albanerin bin. Na los, sagen Sie’s schon! Wenn eine aus Albanien kommt, dann kann sie ja nur auf den Strich gehen, stimmt’s? Scheißrassisten!«
    »Ja, ja, aber in Ihren Fall trifft es nun mal zu, oder? Also werden sie versuchen, ihm die Heirat auszureden. Wahrscheinlich lassen sie ihn nicht eine Minute mehr in Ruhe, weder daheim noch am Arbeitsplatz, und das wird nicht ohne Wirkung bleiben. Schnappen Sie sich Ihren Mario, solange Sie noch die Chance haben, Dori, bevor Sie AIDS kriegen, bevor Ilir wieder freikommt, weil Sie nicht gegen ihn ausgesagt haben, bevor Ihr Baby zur Welt kommt.«
    Es wirkte. Anderthalb Stunden später hatte er Dorina Hoxhas Unterschrift auf einer von Lorenzini abgetippten Aussage, die dafür sorgen würde, daß Ilir ein paar Jahre hinter Gittern blieb. Und nun, da sie ausgepackt hatte, konnte Dori nicht mehr auf den Strich gehen, sondern mußte sich mit Mario zusammentun, der zum Glück Waise war.
    Als der Carabiniere das nächste Mal den Kopf zur Tür hereinstreckte, beschied ihn der Maresciallo mit einem zufriedenen kleinen Seufzer: »Mittagspause…«
    2
    »I ch weiß, es ist gleich eins, aber Sie sagten doch, wenn jemand unbedingt…«
    »Wer ist es denn?«
    »Eine Signora… Hirsch.«
    »Nein, nein! Schicken Sie mir keine Ausländer rein, wenn Lorenzini nicht greifbar ist.«
    Lorenzini sprach ein paar Brocken Englisch und konnte den Touristen, wenn anders keine Verständigung möglich war, immerhin den Weg zum Präsidium in der Via Borgognissanti auch auf Französisch und Deutsch erklären. Folglich galt er als das Sprachtalent der Wache.
    »Lorenzini ist noch da, und die Signora ist Italienerin. Jedenfalls hat sie einen italienischen Paß.«
    »Also gut. Schicken Sie sie rein.«
    Manche Leute sprudelten los und überfielen ihn mit ihren Klagen, kaum, daß sie zur Tür hereinkamen, andere wußten nicht, wo beginnen. Der Maresciallo sah zu, wie diese Frau diskret die Blicke schweifen ließ, während sie Platz nahm, ihr Leinenkleid
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