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Nachtblüten

Nachtblüten

Titel: Nachtblüten
Autoren: Magdalen Nabb
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wurden. Der Maresciallo tippte hier eher auf einen Streich, wie Nachbarskinder ihn einer nervigen alten Jungfer spielten, die sie dauernd drangsalierte, weil das Radio zu laut war oder die Haustür offenstand.
    Die Frau sagte nichts, aber er spürte ihren forschenden Blick auf sich ruhen, als er die Karte umdrehte. Sie war adressiert an Sara Hirsch, Sdrucciolo de’ Pitti 8, 50125 Firenze und war im Juli hier in der Stadt aufgegeben worden.
    Das genaue Datum ließ sich auf dem verwischten Poststempel nicht entziffern.
    Der Text lautete: »Da wir nun wissen, wo Sie wohnen, werden wir Ihnen einen Besuch abstatten. Und dann haben Sie nichts zu lachen.« Anschrift und Mitteilung waren in Druckbuchstaben geschrieben.
    Der Maresciallo sah sie durchdringend an. »Signora, Sie wissen, von wem das stammt.«
    »Wie können Sie so was sagen? Wie sollte ich…«
    »Nein, Signora, Sie mißverstehen mich. Wer immer das geschrieben hat, muß Ihnen bekannt sein. Und Sie kennen auch seine Schrift, weshalb der Absender auf sehr stümperhafte Weise versucht hat, sie zu verstellen. Schauen Sie sich dieses N an und dann die übrigen – oder das W hier und da und da. Jedesmal eine andere Schreibweise.«
    »Aber warum? Ich habe doch niemandem etwas zuleide getan. Warum sollte man mich bedrohen? Was wollen diese Menschen von mir?«
    »Die Botschaft ist ganz eindeutig, Signora. ›Wir wissen, wo Sie wohnen.‹ Der Absender will Ihnen Angst machen und Sie aus Ihrer Wohnung vergraulen. Ich nehme an, Sie sind nicht die Eigentümerin?«
    »Nein… nein.«
    »Tja, Signora, wer immer hinter dieser anonymen Botschaft steckt, er will Sie dort raushaben. Und da es auf legalem Wege sehr lange, manchmal bis zu zwanzig Jahre, dauern kann, einen Räumungsbefehl zu erwirken, gibt es leider hin und wieder Anwälte, die skrupellos genug sind, sich solch krimineller Druckmittel zu bedienen, besonders gegenüber einer alleinstehenden Frau. Eine üble Sache, Signora, und sehr unangenehm für Sie, aber wenigstens wissen Sie jetzt, was dahintersteckt, und Sie haben allen Grund, auf diese Leute böse zu sein. Doch zu fürchten brauchen Sie sich nicht. Ich habe ein paar dieser niederträchtigen Advokaten kennengelernt, aber wirklich zu Schaden gekommen ist durch ihre Taktiken noch niemand.«
    Sie stand auf. »Ich muß gehen. Ich muß nachdenken, was zu tun ist…« Sie streckte die Hand nach der Postkarte aus.
    »Einen Augenblick…« Und er fotokopierte die Karte, bevor er sie ihr zurückgab. »Ich denke, wenn Sie daheim nachsehen, werden Sie feststellen, daß Sie irgendein Schriftstück mit der Handschrift dieses Menschen bei sich haben, irgend etwas im Zusammenhang mit Ihrem Mietvertrag. Und wenn man Sie weiter belästigen sollte, können wir einen Graphologen hinzuziehen.«
    Er ging nicht näher auf die Art dieser möglichen Belästigung ein. Schließlich hatte sie den ominösen Eindringling, der sich angeblich Zutritt zu ihrer Wohnung verschafft hatte, nicht mehr erwähnt, und es war mehr als wahrscheinlich, daß sie sich das Ganze in ihrer Angst vor der anonymen Drohung bloß eingebildet hatte. Oder vielleicht hatte sie die Geschichte auch bloß erfunden, um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Nun, er hatte ihr erklärt, was es mit der Botschaft auf sich hatte, doch das schien sie nicht zu erleichtern. Schon merkwürdig, was die Leute bereit waren zuzugeben und was nicht. Vielleicht hatte sie das Gefühl, so ein Räumungsbefehl sei eine Schande, etwas, das nur armen Leuten widerführe, die ihre Miete nicht bezahlen konnten. Aber in Florenz war niemand davor gefeit. Doch das sagte er nicht. Vermutlich wäre es ihr nur peinlich, wenn er sie jetzt zu trösten versuchte. Als er sie zur Tür brachte, hielt sie noch einmal inne und sah ihm mit hochgerecktem Kinn fest in die Augen.
    »Denken Sie ja nicht, daß ich mich einschüchtern lasse.«
    »So ist’s recht, Signora! Warum sprechen Sie nicht mal mit Ihrem Anwalt und tragen ihm vor, was ich Ihnen gesagt habe?«
    »Das mache ich. Gleich, wenn ich heimkomme, werde ich ein paar Telefonate führen. Ich werde meine Rechte verteidigen. Ich habe noch mehr Trümpfe in petto als diese Leute wissen. Nein, ich bin nicht schwach, auch wenn ich mich so fühle.«
    Es war natürlich denkbar, daß ihre Geschichte von A bis Z stimmte und daß sie trotzdem verrückt war. Was sie erzählt hatte, konnte einem geistig gestörten Menschen genauso passieren wie jedem anderen. Und diese letzte Rede klang wie tagtäglich eingeübt.
    Die
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