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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern
Autoren: Ken Follett
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spritzte auf, während das Flugzeug sich geradelegte und der Rest seines gigantischen Walbauchrumpfes ins Wasser tauchte. Schließlich hatte es auch die Nase unten. Seine Geschwindigkeit verringerte sich plötzlich, die sprühenden Fontänen fielen zu schäumenden Wogen zusammen, und das Flugzeug fuhr durch das Meer wie ein Schiff, was es ja auch war, so ruhig und sicher, als hätte es nie gewagt, nach dem Himmel zu greifen.
    Luther bemerkte, daß er unwillkürlich den Atem angehalten hatte, nun stieß er ihn in einem langen, erleichterten Seufzer aus und fing wieder zu summen an. Der Clipper schwamm auf den Anlegeplatz zu. Vor einer Woche war Luther hier von Bord gegangen. Der Anlegeplatz war ein Spezialfloß mit zwei Piers. In wenigen Minuten würden Taue an den Vorrichtungen am vorderen und hinteren Teil des Flugzeugs befestigt, um es mit einer Winde mit dem Heck voran zu seinem Anlegeplatz zwischen den Piers zu ziehen. Dann konnten die Fluggäste aussteigen – auf die breite Oberfläche des Flossenstummels, von dort auf das Floß und dann die Gangway hinauf, die an Land führte.
    Luther drehte sich um und zuckte zusammen. Unmittelbar neben ihm stand jemand, den er zuvor nicht bemerkt hatte: ein Mann von etwa seiner Größe. Er trug einen dunkelgrauen Straßenanzug und einen Bowler und wirkte wie ein Angestellter auf dem Weg ins Büro. Luther wollte schon weitergehen, hielt dann jedoch inne, um den Mann eingehender zu mustern. Das Gesicht unter der »Melone« war nicht das eines Angestellten. Der Mann hatte eine hohe Stirn, tiefblaue Augen, ein ausgeprägtes Kinn und einen schmalen, brutalen Mund. Er war älter als Luther, etwa vierzig, aber breitschultrig und offenbar in bester Form. Er sah gut aus und wirkte gefährlich. Er starrte geradewegs in Luthers Augen.
    Luther hörte auf zu summen.
    »Ich bin Henry Faber«, sagte der Fremde.
    »Tom Luther.«
    »Ich habe eine Nachricht für Sie.«
    Luthers Herz setzte einen Schlag aus. Er versuchte, seine Aufregung zu verbergen, und erwiderte ebenso kurz angebunden wie der andere: »Gut. Reden Sie.«
    »Der Mann, an dem Sie interessiert sind, wird den Clipper nehmen, der am Mittwoch nach New York fliegt.«
    »Sind Sie sicher?«
    Der Mann antwortete lediglich mit einem durchdringenden Blick.
    Luther nickte grimmig. Also doch. Zumindest war damit die quälende Ungewißheit zu Ende. »Danke«, sagte er.
    »Das ist noch nicht alles.«
    »Ich höre.«
    »Der zweite Teil der Nachricht lautet: »Enttäuschen Sie uns nicht.«
    Luther holte tief Atem. »Richten Sie denen aus, daß sie sich keine Sorgen zu machen brauchen«, sagte er mit mehr Zuversicht, als er wirklich empfand. »Der Bursche verläßt Southampton vielleicht, aber er wird nie in New York ankommen.«
    Imperial Airways hatte eine Flugbootwartungsanlage auf der anderen Seite der Flußmündung, dem Hafen gegenüber. Mechaniker der Imperial führten die Wartung unter der Aufsicht des jeweiligen Flugingenieurs von Pan American durch. Diesmal überwachte Eddie Deakin die Vorbereitungen für den nächsten Flug.
    Es war eine sehr aufwendige Arbeit, aber die Männer hatten drei Tage Zeit. Nachdem die Passagiere am Anlegeplatz 108 ausgestiegen waren, glitt der Clipper hinüber nach Hythe. Dort wurde er im
    Wasser auf ein Gestell mit Rädern manövriert, mit einer Winde eine Helling hochbefördert und schließlich in den riesigen grünen Hangar geschleppt – ein Anblick, der an einen Wal auf einem Kinderwägelchen denken ließ.
    Der Transatlantikflug verlangte den Motoren viel ab. Auf dem längsten Streckenabschnitt, von Neufundland bis Irland, befand das Flugzeug sich neun Stunden in der Luft (und auf dem Rückflug brauchte es – wegen des Gegenwinds – für die gleiche Strecke sechzehneinhalb Stunden). Stunde um Stunde floß unentwegt der Treibstoff, die Kerzen zündeten, die Kolben in den Vierzehnzylindermotoren stampften unermüdlich, und die Viereinhalbmeterpropeller schnitten durch Wolken, Regen und Sturm.
    Für Eddie war das der Zauber der Technik. Es war wie ein Wunder und kaum zu glauben, daß der Mensch Maschinen herzustellen vermochte, die Stunden um Stunden präzise funktionierten. Es gab so vieles, was hätte versagen können, so viele bewegliche Teile, die mit größter Präzision hergestellt und exakt zusammengefügt werden mußten, damit sie nicht brachen, sich nicht lösten, blockierten oder ganz einfach nur abnutzten, während sie ein Flugzeug von einundvierzig Tonnen über Tausende von Kilometern
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