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Mark Brandis - Testakte Kolibri

Mark Brandis - Testakte Kolibri

Titel: Mark Brandis - Testakte Kolibri
Autoren: Mark Brandis
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Kapitel 01
    Das Licht, das mich empfing, war so grell, daß ich unwillkürlich die Augen schloß und zurücktrat in den Schatten meiner Diana , mit der ich vor ein paar Minuten auf dieser ins Meer geschleuderten und vergessenen Insel gelandet war. Aber selbst im Schatten war die Luft so heiß, daß ich kaum zu atmen wagte.
    Erst nachdem ich die schwere Kombination abgestreift hatte, empfand ich den leisen Hauch, der vom tiefblauen Meer hinweg über die Dünen strich und den weißen, blendenden Sand aufwirbelte. Eine Weile hatte ich nichts anderes im Sinn, als mich von dieser kühlenden pazifischen Brise liebkosen zu lassen und den erfrischenden Salzgeschmack der Brandung auf meinen Lippen zu schmecken. Ich öffnete die beiden oberen Hemdknöpfe und lehnte mich gegen das Leitwerk, wobei ich Ausschau hielt nach Boris Baklanow, ein wenig verwundert darüber, daß er noch nicht zur Stelle war, mich zu begrüßen. Niemand war da, um mich abzuholen; lediglich die großen tropischen Zikaden lärmten. Ich fühlte mich ratlos und auch ein wenig überflüssig: ein ungebetener Gast, den man vor der Haustüre stehen ließ.
    In einiger Entfernung erkannte ich den schlanken Tower, über dem die Flagge der VEGA flimmerte: das schwarze Tuch mit dem goldenen Kometen. Vom Tower bis zum Strand mochte es eine halbe Meile sein, und dort, eingehüllt in das gleißende, unbarmherzige Licht, war ein halbes Dutzend silbrig glänzender, flunderförmiger Schiffe abgestellt. Ihretwegen war ich hier.
    Zum erstenmal sah ich diese geheimnisumwitterte Neukonstruktion mit eigenen Augen; bisher kannte ich sie nur von den Fotografien und Konstruktionszeichnungen her, die sich in meiner Mappe an Bord der Diana befanden.
    Sie standen in Reih und Glied, unmittelbar vor dem Meer, dessen seidige Oberfläche nichts von den Gefahren der Tiefe verriet.
    Daß mich auf einmal ein Gefühl der Beklemmung überfiel, kam wohl von der ungewohnten Hitze – und von der Erschöpfung nach einem Flug um die halbe Welt. In Metropolis war Frühling gewesen, lau und mild; hier jedoch war tropischer Sommer.
    Oder war ich vielleicht nicht beklommen, sondern ganz einfach verärgert? Denn so einen Empfang hatte ich ganz gewiß nicht erwartet: eine knappe, fast mürrische Landefreigabe durch den Tower – und danach nichts als ein verlassenes Landefeld, über dem die Sonne brütete und mit blechernem Schrei die Möwen kreisten.
    Das war am Vormittag des 8. April 2074.
    Die Beklemmung oder Verärgerung – was es auch war – wurde keineswegs geringer, als ich nach fünf Minuten des Wartens den offenen Transporter entdeckte, der, eine lange Staubfahne im Schlepp, auf mich zuhielt. Im Gegenteil, mein Verdruß verlangte nach einer Entladung, und ich war froh, nunmehr ein Opfer gefunden zu haben, zumal der Mann am Steuer nicht Baklanow war. Offenbar war es höchste Zeit, daß hier einmal nach dem Rechten gesehen wurde.
    Der Transporter, mit einer dicken Staubschicht überzogen, die seine ursprüngliche Farbe unkenntlich machte, schwebte fauchend heran, beschrieb einen Halbkreis und ging unmittelbar vor mir federnd zu Boden. Heraus sprang ein langer, hagerer, sonnengebräunter Mann im leichten Khakidreß.
    »Brandis? Wir haben Sie bereits dringend erwartet. Ich bin Stafford. Willkommen auf Espiritu Santu!«
    Immer noch aufgebracht über die ungebührliche Behandlung, die ich, der neue Projektleiter, auf dieser Insel erleben mußte, übersah ich die Hand, die Stafford mir entgegenstreckte.
    »So, Sie also sind Stafford. Nun, Sie haben sich da reichlich viel Zeit gelassen. An diese Art von Höflichkeit möchte ich mich ungern gewöhnen.«
    Stafford ließ seine Hand herabsinken, und seine grauen britischen Augen blickten auf einmal streng.
    »Es tut mir leid, daß Sie warten mußten, Sir. Vielleicht nehmen Sie meine Entschuldigung an, wenn ich Ihnen sage, daß das nicht grundlos geschehen ist.«
    Inzwischen hatte ich mir in den Kopf gesetzt, zu allererst mit dem Schlendrian auf Espiritu Santu aufzuräumen. »Es fällt mir schwer«, sagte ich daher mit ungemilderter Frostigkeit, »mir einen Grund vorzustellen, der gewichtig genug ist, Mr. Stafford. Ich bin vor genau neun Minuten gelandet. Seitdem läßt man mich hier schmoren.«
    In Staffords Augen ging etwas vor, was ich nicht zu deuten wußte. Meine Zurechtweisung prallte an ihm ab.
    »Sir«, sagte er langsam, »ich verstehe. Sie sind nicht im Bilde. Wir haben soeben unser fünftes Schiff verloren. Boris Baklanow ist nicht
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