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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern
Autoren: Ken Follett
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daß das näher kommende Flugzeug wie ein geflügelter Wal aussah. Wie ein Wal hatte es eine große stumpfe Schnauze, einen wuchtigen Körper, der sich nach hinten verjüngte und in steil aufsteigenden Schwanzflossen endete. Die gewaltigen Motoren waren in den Tragflächen untergebracht. Und unterhalb der Tragflächen befanden sich zwei weitere Tragflächen, die an ein Paar Flossenstummel erinnerten und dazu dienten, das Flugzeug bei der Landung im Wasser zu stabilisieren. Außerdem war die Unterseite des Rumpfes mit einer Art Kiel versehen.
    Bald konnte Luther auch die zwei unregelmäßigen Reihen großer rechteckiger Fenster des oberen und unteren Decks sehen. Er war vor genau einer Woche mit dem Clipper nach England gekommen, deshalb wußte er, wie er innen aussah. Auf dem oberen Deck befanden sich das Cockpit, alle technischen Anlagen und der Frachtraum, während das untere Deck ausschließlich für die Passagiere bestimmt war. Statt Sitzreihen hatte das Passagierdeck mehrere Abteile, Lounges mit Schlafsesseln. Zu den Mahlzeiten wurde die Hauptlounge zum Speiseraum, und nachts verwandelte man die Schlafsessel in Betten.
    Alles wurde getan, um die Fluggäste von der Welt und dem Wetter draußen abzuschirmen. Es gab dicke Teppiche, gedämpftes Licht, Samtvorhänge, geschmackvolle Farben und weiche Polsterung. Durch die ausgezeichnete Schalldämpfung war das Dröhnen der riesigen Motoren nur als ein fernes, sanftes Brummen zu hören. Der Flugkapitän strahlte Souveränität aus, die Besatzung war freundlich und adrett in ihrer Pan-American-Uniform, die Stewards zuvorkommend und aufmerksam; es gab stets zu essen und zu trinken, und jeder Wunsch wurde einem von den Augen abgelesen wie in einem Märchen: geschlossene Vorhänge zur Schlafenszeit, frische Erdbeeren zum Frühstück. Die Welt außerhalb des Flugzeugs erschien zunehmend unwirklich – wie ein Film, der auf die Fenster projiziert wurde –, während das Innere des Flugzeugs einem wie ein eigenes Universum vorkam.
    Solcher Komfort war nicht billig. Der Hin- und Rückflug kostete 675 Dollar, für das Doppelte konnte man schon ein Häuschen kaufen. Doch für die Passagiere – meist Aristokraten, Filmstars, Vorsitzende großer Konzerne oder Präsidenten kleiner Länder – spielte Geld keine Rolle.
    Tom Luther gehörte zu keiner dieser Kategorien. Er war reich, aber er hatte sich sein Geld sauer verdient und hätte es normalerweise nicht für solch eine Luxusreise verschwendet. Doch es war erforderlich, daß er sich ein genaues Bild des Flugzeugs machte. Er hatte einen gefährlichen Job übernommen – für einen mächtigen Mann. Einen sehr mächtigen Mann sogar. Bezahlt würde er für seine Arbeit nicht werden, aber bei einem solchen Mann einen Gefallen gutzuhaben war mehr wert als Geld.
    Vielleicht wurde die Sache auch abgeblasen. Luther wartete noch immer auf eine Nachricht mit dem endgültigen Okay. Seine Gefühle waren gemischt. Einerseits wollte er die Sache so schnell wie möglich in Angriff nehmen; dann wiederum hoffte er, daß es nicht dazu käme.
    Das Flugzeug neigte sich in einem schrägen Winkel, den Schwanz tiefer als die Nase. Inzwischen war es schon sehr nahe, und wieder war Luther beeindruckt von seiner enormen Größe. Er wußte, daß der Clipper dreiunddreißig Meter lang war und eine Spannweite von fünfundvierzig Metern hatte, doch das waren nur Zahlen – bis man das gottverdammte Ding dann in seinem ganzen Ausmaß vor sich in der Luft sah.
    Plötzlich hatte es den Anschein, als würde das Flugzeug nicht mehr fliegen, sondern jeden Moment wie ein Stein vom Himmel fallen und auf den Meeresgrund sinken. Einen atemberaubenden Augenblick lang hing es unmittelbar über der See wie an einem unsichtbaren Strick. Schließlich berührte es das Wasser, hüpfte über die Oberfläche und platschte durch die Wellenkämme wie ein Stein, den man flach über das Wasser wirft. Einen Moment später stieß der Rumpf ins Wasser, und Gischt sprühte explosionsartig auf, dem Rauch einer Bombe gleich.
    Der Clipper durchschnitt die Oberfläche wie ein Pfeil, pflügte eine weiße Furche in das Grün und schickte zu beiden Seiten Fontänen von Schaum in die Luft; Luther mußte unwillkürlich an eine Wildente denken, die mit gespreizten Flügeln und angezogenen Füßen auf einem See aufsetzt. Der Flugzeugrumpf sank tiefer, und die segelförmigen Gischtschleier, die links und rechts hochschossen, wurden größer, dann begann er, sich nach vorn zu neigen. Gischt
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