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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern
Autoren: Ken Follett
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erläuterte, wie es mit der Kultur bergab ging, seit Weiße angefangen hatten, sich mit Juden, Asiaten, Orientalen, ja sogar Negern einzulassen. Er hatte mit Adolf Hitler korrespondiert und ihn für den größten Staatsmann seit Napoleon gehalten. Es hatte im Haus der Cxenfords jedes Wochenende große Gesellschaften mit wichtigen Politikern gegeben, manchmal auch mit ausländischen Staatsmännem und ein unvergeßliches Mal sogar mit dem König. Die Diskussionen dauerten bis tief in die Nacht hinein, der Butler holte immer wieder eine neue Flasche Weinbrand aus dem Keller, während die Diener gähnend in der Halle herumstanden. Während der Wirtschaftskrise hatte Vater nur darauf gewartet, daß das Land ihn rufe, damit er es in der Stunde der Not rette, und ihn bitte, Premierminister in einer Regierung für den nationalen Wiederaufbau zu werden. Doch der Ruf war nie erfolgt. Die Wochenendparties waren seltener und kleiner geworden; die bekannteren Gäste hatten Mittel und Wege gefunden, sich öffentlich von der Britischen Union der Faschisten zu distanzieren; und Vater war zu einem verbitterten, enttäuschten Menschen geworden. Mit seiner Zuversicht verlor er auch seinen Charme, und sein gutes Aussehen ruinierte er selbst durch Groll, Langeweile und Alkohol. Er war nie besonders intelligent gewesen. Margaret hatte sein Buch gelesen und mit Entsetzen erkannt, daß seine Ansichten nicht nur falsch, sondern auch dumm waren.
    In den letzten Jahren war sein politisches Programm zu einer einzigen besessenen Idee geschrumpft: daß Großbritannien und Deutschland sich gegen die Sowjetunion verbünden sollten. Das hatte er in Artikeln in Zeitschriften propagiert und in Briefen an Zeitungen und bei den immer selteneren Gelegenheiten, da man ihn einlud, bei politischen Versammlungen und vor Hochschuldiskussionsgruppen zu reden. Er hielt auch noch starrsinnig an dieser Idee fest, als die Ereignisse in Europa seine politischen Vorstellungen zusehends unrealistischer werden ließen. Und nun, da der Krieg zwischen Großbritannien und Deutschland erklärt war, starb auch seine letzte Hoffnung. Inmitten all ihrer anderen aufgewühlten Gefühle empfand Margaret sogar ein wenig Mitleid mit ihm.
    »Großbritannien und Deutschland werden sich gegenseitig zerfleischen, und Europa wird dadurch der Herrschaft des atheistischen Kommunismus anheimfallen«, prophezeite er.
    Die Bemerkung über den Atheismus erinnerte Margaret wieder daran, daß man sie zwang, zur Kirche zu gehen. »Das ist mir egal«, sagte sie. »Ich bin Atheistin!«
    »Das ist doch gar nicht möglich, Liebes, du gehörst der Church of England an«, meinte Mutter.
    Unwillkürlich mußte Margaret lachen. Elizabeth, die den Tränen nahe war, rief: »Wie kannst du nur lachen? Es ist eine Tragödie!«
    Elizabeth war eine glühende Bewunderin der Nazis. Sie sprach deutsch – aber das taten beide Schwestern, dank einer deutschen Gouvernante, die länger durchgehalten hatte als die meisten anderen, – war mehrmals in Berlin gewesen und hatte zweimal mit dem Führer höchstpersönlich gespeist. Margaret vermutete, daß die Nazis Snobs waren, denen es gefiel, sich von englischen Aristokraten beklatschen zu lassen. Sie wandte sich Elizabeth zu und sagte: »Es wird Zeit, daß wir es diesen Leuteschindern zeigen!«
    »Sie sind keine Leuteschinder!« protestierte Elizabeth empört. »Sie sind stolze, starke, reinrassige Arier, und es ist eine Tragödie, daß unser Vaterland sich nun im Krieg mit ihnen befindet. Vater hat recht – die Weißen werden einander ausrotten, und dann wird die Welt den Mischlingen und Juden gehören.«
    Margaret hatte nicht die Geduld, sich solches Geschwafel anzuhören. »An den Juden ist nichts auszusetzen!« erklärte sie hitzig.
    Vater hob belehrend den Finger. »An den Juden ist nichts auszusetzen – wenn sie dort bleiben, wo sie hingehören.«
    »Unter den Stiefeln deines – deines faschistischen Systems vielleicht?« Margaret war nahe daran gewesen, »deines verdammten Systems« zu sagen, aber plötzlich bekam sie es mit der Angst und verkniff sich die Bemerkung. Es war gefährlich, Vater zu sehr zu reizen.
    »Und in deinem bolschewistischen System haben die Juden das Sagen!« entgegnete Elizabeth.
    »Ich bin kein Bolschewist, ich bin Sozialist!«
    »Das ist nicht möglich, Liebes«, meinte Percy, den Tonfall der Mutter imitierend, »du gehörst der Church of England an.«
    Auch diesmal mußte Margaret gegen ihren Willen lachen, was ihre Schwester nur
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