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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier
Autoren: Yasmina Khadra
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Vergangenheit, die man dem Gefangenen ohne Gedächtnis übergestülpt hatte. Es gibt nichts Besseres als jemanden, der kein Erinnerungsvermögen hat, nicht wahr? Und wenn er außerdem weder Verwandte noch Bekannte hat, kann man sich seiner entledigen, ohne daß er Spuren hinterläßt. Ein Kinderspiel! Das perfekte Verbrechen. Um so mehr, da der Kommissar andere Sorgen hat: Sein Kumpel verreckt in einem Kerker ohne Rückfahrkarte. Je mehr Zeit vergeht, desto mehr siecht der arme Kerl dahin. Man muß sich ranhalten. Man muß die Sache abkürzen, sich aufs Wesentliche konzentrieren. Der Boden ist schon seit langem bereitet, der alte Bulle braucht sich nur an die vorgegebene Richtung zu halten. Bis zum Massengrab von Sidi Ba. Ein Grauen, dieses Massengrab, und was für ein Skandal! In den Fernsehnachrichten wird in aller Ausführlichkeit über die furchtbare Entdeckung berichtet, und die Presse übernimmt es, sie beliebig auszuschlachten. Haj Thobane, der die Familie des Namenlosen hingerichtet hat, begeht Selbstmord, unfähig, sich seiner ungeheuerlichen Vergangenheit zu stellen. So rächt sich das Gute am Bösen. Der Mistkerl wird beerdigt wie ein Hund. Die Gerechtigkeit ist wiederhergestellt. Der Lieutenant wird rehabilitiert. Der Vorhang fällt, die Vorstellung ist zu Ende, alle gehen nach Hause ... Wie findest du dieses Szenario?«
    »Ich sehe nicht, worauf du hinauswillst, Brahim.«
    »Wirklich nicht?«
    »Als du hier eben zu dieser unmöglichen Zeit hereingeschneit bist, dachte ich gleich, daß irgendwas bei dir nicht ganz rund läuft. Ich hab mich nicht geirrt.«
    Er hält sich wacker, der Prof. Als hätte man ihn bearbeitet. Er fährt sich durch die schneeweiße Mähne, immerhin macht er eine betretene Miene.
    »Wie lange kennen wir uns schon, Allouche?«
    »Schon sehr lange«, seufzt er.
    »Du hattest deine Höhen und Tiefen, stimmt's?«
    »Es war nicht immer rosig.«
    »Hat sich mein Verhalten dir gegenüber auch nur ein einziges Mal in irgendeiner Weise verändert?«
    »Du bist ein anständiger Kerl, Brahim. Du hast immer zu mir gehalten, in guten wie in schlechten Tagen.«
    »Glaubst du, daß das an meinem angeborenen Schwachsinn liegt?«
    »Warum sagst du so was?«
    »Weil das genau die Frage ist, die ich mir stelle, Professor. Ich frage mich, ob meine Rechtschaffenheit nicht der Beweis für meine Idiotie ist. Denn man muß schon verdammt verrückt sein, wenn man ein Land, wo jeder den anderen aus Selbsterhaltungstrieb auszutricksen versucht, immer noch liebt und Vertrauen in seine Zukunft hat.«
    »Was hast du hier mitten in der Nacht zu suchen?« donnert eine Stimme hinter mir.
    Ich drehe mich um.
    Cherif Wadah steht in der Tür zum Nachbarzimmer, im Morgenmantel, den er sich nur übergeworfen hat. Sein vom Schlaf verquollenes Gesicht zuckt krampfartig.
    »Monsieur Wadah?« sage ich. »Ich dachte, Sie sind im Ausland.«
    »Das denken meine Feinde auch, und das ist gut so.«
    »Hier ist also Ihr Versteck?«
    »Kümmern Sie sich um Ihren Kram, Kommissar. Was erzählen Sie dem Professor da? Was soll der ganze Humbug? Ist Ihnen klar, was für ein unerhörtes Zeug Sie da von sich geben?«
    Er versucht mich einzuschüchtern. Aber ich gehe ihm nicht ins Netz.
    »Unerhört ist wohl eher, was in letzter Zeit ans Tageslicht gekommen ist, Monsieur Wadah!«
    Cherif Wadah macht einen Schritt auf mich zu. Er ist wütend, bemüht sich jedoch, ruhig zu bleiben. Er dreht den Wecker auf dem Tisch um.
    »Verflucht noch mal! Es ist vier Uhr morgens. Man muß krank sein, Leuten, die einfach nur schlafen wollen, um diese Zeit solche Geschichten aufzutischen.« Er mustert mich. »Sie sind auf dem besten Weg durchzudrehen, Monsieur Llob. Ich weiß, Sie haben äußerst turbulente Zeiten hinter sich, aber das ist vorbei. An Ihrer Stelle würde ich mich jetzt entspannt zurücklehnen und an etwas anderes denken. Im Land fängt ein neues Leben an. Sie sollten sich darüber freuen. Sie haben meisterhafte Arbeit geleistet. Sie waren großartig. Warum müssen Sie an dem zweifeln, was Sie dank Ihrer Selbstlosigkeit und Ihrer Intelligenz vollbracht haben?«
    »Achtung, Sie beweihräuchern mich ein bißchen zu stark. Ich kipp gleich um.«
    »Sie verdienen alle Hochachtung der Welt, Kommissar. Und man wird sie Ihnen erweisen, einer nach dem anderen. Ich werde persönlich darüber wachen. Dank Ihres Einsatzes wird eine neue Ära anbrechen ... Suchen Sie nicht nach einer Antwort, wo sich gar keine Frage stellt. Gehen Sie nach Bulgarien
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