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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier
Autoren: Yasmina Khadra
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können, und jedes Talent wird die Möglichkeit haben, sich frei zu entfalten. Alle haben eine Chance. Schluß mit Despotismus und Parteichinesisch, mit Vettern- und Günstlingswirtschaft, mit Bestechung und Ausgrenzung. Überall werden neue Parteien aus dem Boden schießen - das ist keine Utopie, manche sind bereits insgeheim im Entstehen begriffen, glaub mir -, und die Macht wird es mit einer echten Opposition zu tun haben, der sie Rechenschaft ablegen muß und die ihr auf die Finger klopft. Du hast unrecht mit deiner Skepsis, Kommissar. Die Rettung ist da, in Reichweite, man muß nur zugreifen.«
    »Sie stimmen mir sicher zu, daß Lügen immer noch am besten ankommen, Monsieur Wadah.«
    Sein Lächeln verschwindet.
    Ich öffne die Tür. Draußen übertüncht der Mond die von der Trockenheit ausgedörrten Obsthaine mit zweifelhaftem Glanz. Ein prächtiger Himmel für Schlafwandler und Schlaflose; für den Bauern mit den rissigen Händen kündigt sich dagegen schon jetzt eine verheerende Ernte an.
    Bevor ich zum Auto gehe, finde ich die Kraft, mich noch einmal umzudrehen:
    »Es ist nicht alles Gold, was glänzt, so steht es geschrieben. Ich liebe mein Land und seine Menschen. Ich bin unglücklich, wenn die Dinge schlecht laufen, und ich bete oft, daß wir aus der Pechsträhne rauskommen, ohne dabei allzu viele Federn zu lassen. Wie Sie träume ich von einem schönen und starken Vaterland, und dafür bin ich bereit, mein Letztes zu geben. Aber wie fest mein Glaube auch sein mag, ich verbiete es mir, an Prophezeiungen zu glauben, die Mord für rechtmäßig erklären.«
     
    Keine Ahnung, was ich mit dem Rest des Tages angestellt habe. Ich erinnere mich nur, wie ein Besessener durch die Gegend geirrt zu sein, die Hände auf dem Rücken, mit verschleiertem Blick. Ich hatte Kopfschmerzen, aber vor allem Magenschmerzen. Der Lärm der Stadt brauste um mich herum. Ich wußte nicht, wohin ich gehen sollte, und bin trotzdem weitergelaufen, überzeugt, daß das die einzige Möglichkeit sei, meine Ungewißheiten hinter mir zu lassen. Vielleicht hatte ich gehofft, auf diese Weise einen gewissen Abstand zu meinen eigenen Überzeugungen zu gewinnen. Damit ich überprüfen könnte, ob sie noch standhielten. An der Küstenstraße hat mich die Dunkelheit überrascht. Ich bin nach Hause gefahren wie jemand, der von weither kommt und noch lange nicht das Ende des Tunnels sieht.
    Es ist elf Uhr durch, und Algier ist am Ersticken. Es scheint, als stehe die Hölle vor den Toren der Stadt. Zusammengesackt in meinem Sessel, die Füße auf einem zerschlissenen Hocker, unternehme ich den Versuch, mich mit Hammoud Boualem zu besaufen, einem einheimischen Sodawasser, das unser ganzer Stolz ist.
    Durch das Fenster kann ich die Lichter der Kasbah sehen. Die Nacht in diesem jahrhundertealten Viertel gleicht einer Verzichtserklärung. Von der Backofenglut des Tages sind die Gemüter aufs höchste erhitzt und erschöpft. Die Sorgen gehen ihnen nicht aus dem Kopf. Sie haben den Tag damit verbracht, einmal mehr bei den Gastwirten anschreiben zu lassen und das Spülwasser, das man ihnen als Getränk serviert, zu verfluchen, ebenso wie die lichte Zukunft, die sich von ihnen abwendet. Die Gassen sind leer und zum Sterben traurig. Die Ladenbesitzer haben die Rolläden heruntergelassen, das Geplauder hat sich verzogen, statt dessen ist jetzt die Stille zu vernehmen, die dumpf gegen die Fenster schlägt.
    Düster und unruhig, wie ein schlimmes Vorzeichen, erstreckt sich vor mir das Mittelmeer mit seinen fortgeschwemmten Träumen. Als wären sie Bahnhofsvorsteher, schwenken ein paar Ozeandampfer ihre Lampen, während ein Leuchtturm seinen bösen Blick in der Finsternis kreisen läßt, um irgendwohin seinen Bannstrahl zu werfen.
    Sonst hat mich Algier immer gerührt, wenn ich an der Balkonbrüstung lehnte. Ich beobachtete das Treiben voller Anteilnahme, und die Geräusche des Viertels hielten mich in Atem. Ich hatte das Gefühl, jedes Haus zu kennen und jeden Pflasterstein in der Hand gewogen zu haben. Ich hatte nie das Bedürfnis, mein Zuhause zu verlassen und auf Reisen zu gehen. Algier war ein Spaziergang, der mir nie langweilig wurde. Die Merguez-Düfte und der Kneipenlärm erfüllten mich mit einem Bärenhunger, und ich brauchte mir nur die Knirpse anzuschauen, um meinen Hunger zu stillen.
    Warum hat sich heute alles verändert? Was ist das für eine Bitterkeit, die uns das Leben vergällt? Was verbietet Mina, die Vergangenheit heraufzubeschwören? Was
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