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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier
Autoren: Yasmina Khadra
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    »Sieh mal einer an, Sie sind also informiert!«
    »Ja, ich habe bei Ghali Saad ein Wort für Sie eingelegt.«
    »Sie hätten mich um meine Meinung fragen sollen.«
    »Ich wollte Sie überraschen.«
    »Und mich überrascht, daß es mir nicht gelingt, Ghali Saad abzuhängen. Egal, wo ich bin, er ist auch da. Auf die Dauer hat das einen komischen Nachgeschmack.«
    »Sie sind auf dem Holzweg, Kommissar, glauben Sie mir. Es gibt kein Komplott. Haj Thobane ist von seiner Vergangenheit eingeholt worden. Wir haben beschlossen, ihm diesmal nicht beizuspringen, das ist alles. Er war ein niederträchtiger Mensch. Er hat dem Vaterland gewaltige Probleme beschert, er hat verhindert, daß es vorwärtsgeht, er hat sich gegen Reformen und sämtliche Initiativen zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen unserer Bürger gestemmt, und er hat das Volk als Geisel genommen. Er hat jede politische oder wirtschaftliche Gesetzesvorlage als Angriff auf sein Finanzimperium angesehen und alles getan, damit die Gesellschaft in Stillstand und geistigem Verfall verharrt. Sie haben ihn doch gekannt! Behaupten Sie bloß nicht, daß Sie ihn jetzt bedauern. Dieser Mann mußte so oder so verschwinden. Entweder er oder Algerien. Die Geschichte hat entschieden. Der Feigling hat sich eine Kugel in den Kopf gejagt, und das Leben geht weiter.«
    »Er hat sich also eine Kugel in den Kopf gejagt?«
    »Zweifeln Sie daran?«
    »Vielleicht hat man ihm dabei geholfen.«
    »Jetzt machen Sie mal halblang, Kommissar. Der Bericht des Gerichtsmediziners ist eindeutig: Haj Thobane hat Selbstmord begangen. Daran gibt es nichts zu rütteln, das ist amtlich, und es ist die Wahrheit. Es ist gefährlich, irgendwelche aus der Luft gegriffene Hypothesen in die Welt zu setzen, ohne zu bedenken, wohin das führt.«
    »Ich bitte dich, Brahim«, sagt Allouche mit zittriger Stimme, einen Finger an der Schläfe. »Si Cherif hat recht. Was du bewerkstelligt hast, ist einfach phantastisch.«
    »Du, ein Professor, ein Gelehrter«, sage ich. »Wie konnte ein Mann mit deinem Wissen sich in diese Geschichte hineinziehen lassen?«
    Er lächelt traurig und wirft mir einen gequälten Blick zu.
    »Ein Gelehrter, Brahim, weißt du, was das heißt in einem Land, das von raffgierigen Größenwahnsinnigen beherrscht wird? Wissen ist das größte Unglück, das einem Menschen in einer von Scharlatanen regierten Republik widerfahren kann. Du hast sie am Werk gesehen, du hast miterlebt, wie sie mich und alle, die anders dachten als sie, fertiggemacht haben. Meine Höhen und Tiefen, Brahim? Ich habe selten Beifall bekommen, dagegen hat man mich oft niedergebrüllt. Wenn jemand einen Grund hatte, sich mit Haut und Haaren dieser Geschichte zu verschreiben, dann ich. Das ist mehr als eine Pflicht, es ist eine Notwendigkeit, eine Frage des Überlebens. Bist du schon mal von einer Handvoll überreizter Schergen zu einer unmöglichen Zeit aus dem Bett gezerrt worden? Sie dringen bei dir ein, als wäre es ein öffentliches Gebäude, und versetzen deine Frau und deine Kinder in Angst und Schrecken. Jede Nacht, jahrelang. Kannst du dir auch nur annähernd vorstellen, was für eine Hölle das ist? Sie schubsen dich ins Treppenhaus, im Schlafanzug, barfuß, während deine Kinder ihr Gesicht hinter den Händen verbergen und schluchzen. Du versuchst sie zu beruhigen, wirst aber daran gehindert, weil ein armer Idiot auf dich einschlägt und dich beschimpft. Wie oft hat sich dieses Affentheater abgespielt, immer auf die gleiche Weise, mitten in der Nacht, und die Nachbarn sahen von ihrem Balkon aus zu, wie die Gorillas mich in den Kofferraum ihres Autos pferchten, um mich dann in rasendem Tempo in den Wahnsinn zu treiben! Ich wurde gefoltert, angekettet, gedemütigt, mit Urin begossen und durch meine Exkremente geschleift. Sie haben mich gezwungen, mich auf Flaschen zu setzen. Ich war so entstellt, so elend, daß meiner Frau die Sicherung durchgebrannt ist. Sie konnte es nicht mehr mit ansehen, wie ich mich in ein Stück Dreck verwandelte, Brahim, sie hielt es nicht mehr aus, meine ständigen Ängste zu teilen. Eines Morgens hat sie meine Kinder gepackt und ist verschwunden. Sie ist nicht zurückgekehrt, hat kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben. Seit über zehn Jahren weiß ich nicht, wo sie sich befindet, was aus meinen Kindern geworden ist. Und du fragst mich, was ein Gelehrter in dieser Geschichte verloren hat? Diese Geschichte hätte ohne ihn überhaupt keinen Sinn ... Ich will nicht, daß
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