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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier
Autoren: Yasmina Khadra
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die Besten unter uns weiterhin von den Schlimmsten verfolgt werden. Ich will nicht, daß meine Arbeiten weiterhin in den Latrinen als Klopapier benutzt werden. Denn das ist vorgekommen, Brahim. Sie haben mich gezwungen, mich mit meinen Büchern abzuwischen. Meine Folterer um Verzeihung zu bitten und erbärmliche Kerkermeister mit >Herr< anzusprechen. Und alles, weil ich ein gebildeter, ehrlicher, gewissenhafter Mensch war, der seine Dienste Gurus angeboten hat, die damit nichts anzufangen wußten.«
    Da ich keinen Ton herausbringe, senkt er die Augen und stemmt sich gegen den Tisch. Aber es gelingt ihm nicht, sich aus dem Stuhl zu erheben, er gibt auf und begnügt sich damit, seinen Bericht abzuschließen.
    »Du hast allen Grund, dich zu freuen, Brahim, glaub mir. Si Wadah beweihräuchert dich nicht. Was du gemacht hast, ist unschätzbar. Dir verdanken wir, daß sich jetzt eine heilsame Rundumerneuerung bei uns vollzieht. Das Gute gewinnt endlich die Oberhand über das Böse.«
    »Das Gute?«
    »Ja, das Gute.«
    »Dann sag mir bitte, warum ich, jedesmal wenn ich an diejenigen denke, die uns Gutes erweisen wollen, Lust habe zu kotzen. Sag mir, warum mich ihre Freundlichkeiten erschrecken, warum ich Angst davor habe, daß sie uns zu retten beabsichtigen?«
    Cherif Wadah wiegt den Kopf hin und her.
    »Dann nehmen Sie also den Wandel, auf den die Nation gewartet hat, gar nicht wahr .«
    »Niemand glaubt an Ihre Märchen, Monsieur Wadah«, unterbreche ich ihn. »Man ist Ihrer demagogischen Sprücheklopferei auf den Leim gegangen, aber jetzt liegt die Hoffnung so am Boden, daß niemand mehr Ihre Spielchen mitmacht. Und erzählen Sie mir nichts von Nation, Sie wissen nicht, wovon Sie reden. Die einzige Chance, die dem Land bleibt, ist Ihr Abgang. Je früher, desto besser. Sie machen uns mit Ihrem albernen Gewäsch noch ganz besoffen. Die Welt verändert sich, ja, aber nicht dort, wo Sie sind. Wenn Sie glauben, daß Thobanes Tod das Beste ist, was passieren konnte, dann folgen Sie seinem Beispiel, und lassen Sie die junge Generation ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Ein Festmahl läßt sich nicht mit den Resten vom Vorabend zubereiten, Monsieur Wadah.«
    »Es ist unser Algerien«, donnert er und stürzt sich auf mich.
    »Welches?« brülle ich. »Das Algerien, das die Dichter inspiriert hat, oder jenes, in dem Denker und Künstler die Gefängnisse bevölkern? Das, wohin die großen Männer kamen, um sich vor den Denkmälern seiner Geschichte zu verneigen, oder jenes mit den Kolossen auf tönernen Füßen? Das Algerien, das von Tito, Giap, Miriam Makeba und Che Guevara, dem echten Che, verehrt wurde, oder jenes, das Carlos und terroristischen Vereinigungen Unterschlupf geboten hat?«
    Er ist fassungslos.
    »Sie enttäuschen mich, Si Brahim. Ich denke, daß wir uns nichts mehr zu sagen haben. Gehen Sie jetzt.«
    »Das hatte ich ohnehin vor, Monsieur. Ich bin nur gekommen, um Ihnen zu sagen, daß es kein perfektes Verbrechen gibt. Sie können noch so sehr die Spuren verwischen, die Hintergründe verschleiern, die Indizien vertauschen, den Verstand vernebeln und die Augen mit Blindheit schlagen, früher oder später wird Sie, genauso wie Haj Thobane, die Wahrheit unweigerlich einholen.«
    »Von welcher Wahrheit sprechen Sie, Si Brahim? Es hat niemals eine gegeben.«
    Das ist ihm so rausgerutscht.
    Seine aufgeblähten Nasenflügel erstarren. Er weiß nicht, ob er weiterreden oder den Fauxpas übergehen soll.
    Zum großen Mißfallen des Professors entscheidet er sich für die ungünstigste Variante: fürs Dozieren.
    »Wir sind ein einziges Lügengespinst, Monsieur Llob. Wir glauben zu wissen, wohin wir gehen, aber niemand ahnt, was uns an der nächsten Wegbiegung erwartet. Wir tasten uns bei vollem Licht vorwärts, berauscht vom Schillern unserer Eitelkeiten oder aber geblendet vom trügerischen Schein unseres Verderbens. Wie die Gnus jagen wir in gestrecktem Galopp imaginären blühenden Landschaften entgegen, die gesäumt sind von verborgenen Gefahren, gewaltsamen Toden und von Wahnsinn. Wir sind genauso zu bedauern wie die Gnus, Kommissar. Wir haben aus den Fallstricken der Vergangenheit nichts gelernt. Unser Gedächtnis behält nichts von dem, was uns zerstört hat. Wir haben niemals aufgehört, uns zu belügen. Vielleicht liegt darin das Geheimnis unseres Überlebens, in der Weigerung, uns zu korrigieren.«
    Er hebt seine Hand bis zu meinem Gesicht, bewegt seine Finger hin und her wie eine auf dem Rücken liegende
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