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Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Titel: Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)
Autoren: Dagmar Trodler
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1. Kapitel
     
    Der alte Mann kam erst aus dem Haus geschlurft, als der Hund sich schon heiser gekläfft hatte. Doch Lies hatte weder den Mut gehabt, an ihm vorbei zur Haustür zu gehen, noch laut zu rufen. Dabei war es nur einer dieser behaarten Spitze, die hier in Island jeder zu halten schien – klein, rund, unglaublich schnell und alles ankläffend, was sich bewegte.
    Lies seufzte. Also doch jemand da. Der Typ, der sie von Egilstaðir aus freundlicherweise in diese grässliche, ostisländische Einöde gefahren hatte, hatte nicht mehr als drei Worte verloren, als sie ausgestiegen war, sie hatten Ähnlichkeit mit »Nice stay« gehabt. Koffer raus, Tür zu, Abfahrt. Selbst die Staubwolke, die sein Pick-up hinterließ, hatte sich hastig aufgelöst. Merkwürdig. Aber nun war der Hausherr ja da. Mutig nahm sie ihren Koffer und ging auf ihn zu.
    Der Spitz sprang kläffend an ihr hoch – ein energisches Brummen des Besitzers, und der Hund ließ ab von ihr und kroch geduckt auf einen alten Teppich neben der Tür.
    »Hallo – hæ. Goðan daginn «, versuchte Lies ihr Glück mit den wenigen isländischen Wörtern, die sie aus dem Reiseführer behalten hatte. ›Den Rest lernst du schon von selber‹, hatte ihre Freundin gesagt.
    Ha. Guter Witz.
    Denn das, was aus dem Munde des Alten kam, klang eher wie ein unappetitliches Schmatzgeräusch denn wie Worte einer europäischen Sprache, zudem alles andere als willkommen heißend. Vielleicht war der doch nicht der Hofbesitzer? Oder sie war am falschen Hof abgesetzt worden? Fast wünschte sie sich das, wenn sie sich heimlich umschaute... Dann sagte ihr ein Gefühl, dass sie hier richtig war und dass es dem Schicksal wohl gefiel, ihr diese Prüfung abzuverlangen. Die Gegend sah nämlich nicht so aus, als gäbe es hier noch mehr Höfe.
    Und so blieben sie voreinander stehen, ohne zu verstehen, was einer dem anderen sagen wollte. Der Alte musterte sie finster. Buschige graue Brauen wucherten über seinen wassergrauen Augen, die sie flink musterten und zwischen hunderten von Falten und Krähenfüßen zu verschwinden schienen. Ab und zu leckte er sich die Lippen, dann bemerkte sie seine furchtbar aussehenden Zähne. Die knollige Nase dominierte das Gesicht und erzählte von vergangenem Alkoholgenuss. So, wie er jetzt da stand, roch sie nichts. Dafür eine Mixtur aus Dutzenden anderer Gerüche, die verrieten, dass auf dem Hof Gunnarsstaðir nicht allzu viel Zeit auf Kleiderwaschen verschwendet wurde.
    Das also war ihr Arbeitgeber für die nächsten Monate. Herzlichen Glückwunsch.
    Was für eine Schwachsinnsidee.
    Als hätte er ihre Gedanken gehört, drehte er sich ruckartig um, schwankte erst, dann fing er sich und humpelte zum Haus. Ein Bein war länger als das andere, die Hüfte verwachsen. Die schlabbrige Hose wurde von einem Hosenträger gehalten, und der Wind spielte an dem zu weiten Hemd, das rechts über den Hosenbund heraushing. Sicher war er früher mal ein stattlicher Kerl gewesen, breite Schultern und kräftige Arme hatte er immer noch. An der Haustür, die sich leise quietschend in den Angeln wiegte, drehte er kurz den Kopf und machte eine Bewegung – komm mit. Der Spitz blieb liegen, wo er hinbefohlen worden war, doch schwarze Äuglein überwachten jeden einzelnen von Lies’ Schritten, den sie aufs Haus zuging. An der Haustür drehte sie sich noch einmal um.
    Braun und gleichgültig, mit langen weißen Schneetränen erhoben sich die faltigen Berge des Tales über ihr, und gleichgültig gurgelte der Gletscherfluss, den sie vom Auto aus gesehen hatte, weiter hinten vor sich hin. Gleichgültig wehte der ewige Wind – wer bist du, was willst du, was geht’s dich an -, blies ihre Haare stur in eine Richtung. Eine Schwalbe zerschnitt den Luftraum, schwang sich mit kühnem Bogen vor ihr in die Luft – hier bist du nun, hier bleibst du auch. Hier bleibst du, wirst schon sehen.
    Was für eine Schwachsinnsidee.
    Lies schluckte. Sie nahm allen Mut zusammen und machte den letzten Schritt auf das Dunkel des Hauseinganges von Gunnarsstaðir zu.
     
    »Mach doch mal was ganz anderes«, hatte ihre Freundin Silke gesagt. »Nimm unbezahlten Urlaub und mach mal was ganz anderes.« Diese Idee an sich war ja nicht schlecht gewesen. Was sie jedoch dazu gebracht hatte, ausgerechnet Silkes Vorschlag in die Tat umzusetzen und für ein paar Monate auf einem Bauernhof in Island zu arbeiten, das wusste Lies nicht mehr. Was in aller Welt macht man Anfang April in Island?
    Naja, irgendwie war
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