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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier
Autoren: Yasmina Khadra
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vielleicht, aber letztlich verschleiert er nur unser eigenes Scheitern und hindert uns am Handeln, anstatt es anzustacheln.«
    »Vermutlich. Aber was mich angeht, so habe ich mein Ziel erreicht, und dazu gratuliere ich mir. Ich habe dazu beigetragen, den schlimmsten Schurken, der in unserem Land gewütet hat, unschädlich zu machen.«
    »Schurken von seiner Sorte gibt es haufenweise. Hat man einen beseitigt, stehen hundert andere schon bereit.«
    Sie lächelt. Eine wahre Freude, dieses Lächeln. Aber warum stimmt es mich in diesem Moment so traurig? Warum bereiten mir ihre riesigen Augen, ihre wundervollen Gesichtszüge, ihre sinnliche Gestalt auf eine so bedrückende und zugleich unerklärliche Weise Kummer? Was macht eine so verlockende Frucht giftig, was macht ein solch undurchdringliches Geheimnis tödlich?
    Ich merke, wie sich meine Faust zusammenballt, sich meine Kiefer verkrampfen, wie ich Lust habe, verletzend zu sein. Ich habe Angst vor dem, was mir durch den Kopf geht, mißtraue dem, was mich hinterrücks beschleicht, mir den Verstand vernebelt und den Atem nimmt. Ich stehe da wie ein betrogener Ehemann, dem sein Unglück mit einer solchen Unerbittlichkeit zu dämmern beginnt, daß ihm jeder Herzschlag ein Stück von seiner Seele wegreißt.
    Soria ist eine intelligente Frau. Sie weiß besser als jeder andere, was für eine Wirkung sie auf mich ausübt. Gelassen fischt sie sich eine Zigarette aus einem Mahagoniholzkästchen, zündet sie an und schaut den Rauchwölkchen nach, wie sie sich langsam zur Decke kringeln. Nach ein paar tiefen Zügen läßt sie sich auf die Couch fallen, wobei ihre schlanken, langen Beine zu sehen sind.
    »Warum?« frage ich sie geradeheraus.
    »Ich bin Historikerin. Bestimmte historische Fakten waren nicht richtig zugeordnet. Ich habe sie zurechtgerückt.«
    »Und welche ist Ihre eigene Geschichte?«
    »Die, die ich nun endlich dazu gemacht habe.« Unvermittelt wird ihre Stimme leiser. »Mein ganzes Leben habe ich auf diese Stunde gewartet. Und nur aus einem einzigen Grund habe ich Geschichte studiert: Ich hatte mit der Vergangenheit meines Landes eine Rechnung zu begleichen, sie verdarb mein gegenwärtiges Leben und gefährdete meine Zukunft. Als Historikerin hatte ich die Möglichkeit, mir Zugang zu den Teilen zu verschaffen, die in meinem Puzzle fehlten und die ich als offene Brüche empfand. Ich stieß verschlossene Türen auf und drang in den Kreis der Götter vor. Diejenigen, die unser Land regieren, haben ihre kleinen Schwächen: Sie mögen es, beweihräuchert zu werden. Ich bin also zu ihnen gegangen und habe ihre Heldentaten gepriesen, und dafür haben sie mich angebetet. Ich habe ihnen wunderbare Artikel gewidmet, habe aufsehenerregende Seminare und Debatten organisiert und ihre Geschichten für die Nachwelt festgehalten. Mit einem Schlag war ich zu jemandem geworden, der ihnen Ewigkeit verlieh und von dem ihr Glück abhing. Plötzlich lagen mir der Che, der Rais, die Zäims und ihre ganzen Eunuchen zu Füßen. Nur einer fand niemals Gnade in meinen Augen. Und ich wußte, daß meine Verachtung ihn eines Tages ins Verderben stürzen würde.«
    »Haj Thobane?«
    »Möge er in der Hölle schmoren.«
    »Sie haben ihn also getötet?«
    »Ich habe für seinen Untergang gesorgt, und das erfüllt mich mit tiefer Genugtuung. Ich hatte damit gerechnet, daß er verschwinden würde, aber er hat Selbstmord begangen, noch besser. Ganz der Feigling, der er immer gewesen ist.«
    »Sie glauben an die These vom Selbstmord?«
    »Sie wollen doch nicht behaupten, daß es ein Unfall war? Sie würden mir die Freude verderben.«
    »Sie wußten, daß seine Tage gezählt waren?«
    »Ich hatte es gehofft. Und meine Hoffnungen wurden nicht enttäuscht. Seine Feinde mußten ihn mit Glacehandschuhen anfassen, um ihn erfolgreich und endgültig abservieren zu können. Ein Handschuh war ich, der paßte wie angegossen. Und der andere waren Sie, Kommissar. Die Geschichte und das Gesetz. Zwei hinreißende Marionetten. Sie wollten Ihren Lieutenant retten, ich die Revolution vom Schmutz befreien ... Man hatte Menschen umgebracht. Ohne Prozeß. Wie verseuchtes Vieh. Welches düstere Geheimnis verbarg sich in dem Massengrab von Sidi Ba? Tag und Nacht verfolgte mich diese Frage.«
    »Warum hatte man auf einmal ein Interesse daran, die Toten auszugraben, nach jahrzehntelangem, einmütigem Stillschweigen?«
    »Weil Haj Thobane ein zu großer Störfaktor geworden war und ihre Pläne behinderte.«
    »Welche
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