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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier
Autoren: Yasmina Khadra
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dann der Namenlose? Natürlich, ein Unbekannter ohne Vergangenheit, ein leeres Blatt, auf das man einfach irgendeine Geschichte schreiben konnte. Und so hat man ihm einfach die des Märtyrers untergeschoben. Man brauchte nur noch daran zu glauben. Und ich habe daran geglaubt. Bis zum Schluß. Ich Idiot! Ich, der ich mich stets damit brüste, das Leben in all seinen Schattierungen zu kennen, ausgerechnet ich habe mich reinlegen lassen!
    »Soll ich dir einen Kaffee machen?«
    Meine arme Mina! Immer muß sie unter meinen Sorgen leiden.
    »Hab ich dich schon wieder aufgeweckt?«
    »Nicht so schlimm. Ich kann sowieso nicht schlafen.«
    »Komm her.«
    Ich lege den Arm um ihre Schultern und drücke sie an mich. Ihre Hände zögern schamhaft, ehe sie mich umfassen. Ich vergrabe mein Gesicht in ihrem Haar, lasse mich von ihrem Duft einhüllen. Unten auf der Straße ist der Rüpel mit seinem Gehupe wieder zugange. Soll er doch die ganze Stadt zusammentrommeln, ich bin für niemanden mehr zu sprechen.
    Nachdem Mina eingeschlafen ist, packt mich von neuem Unruhe. Gegen vier Uhr morgens erreiche ich die Heilanstalt. Unter kräftigen Windstößen gebeugt, taumele ich an der dunklen Fensterfront entlang. Mir ist, als durchschreite ich die Vorhölle meines Wahnsinns.
    Ich gelange zum Büro-Schlafraum von Professor Allouche. Kein Licht hinter den Fensterläden. Ich klopfe so lange an die Tür, bis ich mir fast die Finger wund gescheuert habe.
    »Es reicht!« brüllt endlich eine knarrende Stimme. »Ich bin nicht taub.«
    Ein Schlüssel dreht sich im Schloß.
    Der Professor schwankt, als er mich auf der Treppe stehen sieht.
    »Brahim? Was machst denn du hier?«
    »Ich wollte nur mal kurz vorbeischauen. Störe ich?«
    Sein Blick gleitet über mich hinweg. »Du bist allein?«
    »Ich bin alt genug, Professor.«
    »Weißt du, wie spät es ist?«
    »Ich dachte, daß sich Freunde nicht zu verabreden brauchen.«
    »Ja, schon, aber man muß es auch nicht übertreiben. Ich vermute, du hast gute Gründe, mich so früh aus dem Bett zu trommeln.«
    »Ich konnte zu Hause kein Auge zutun.«
    Er sieht mich neugierig an und tritt dann zur Seite, um mich reinzulassen.
    »Was ist los?« fragt er und schaltet das Licht an.
    Er ist im Schlafanzug, die Hose läßt einen beträchtlichen Teil seines Hinterns sehen. Das an den Trägern schon abgewetzte Unterhemd schlottert ihm um den Oberkörper. Er blickt mich mit den Augen eines sterbenden Hundes an. »Du scheinst durcheinander zu sein. Was ist denn passiert?«
    Ich deute auf einen Stuhl. »Setz dich, Professor. Im Stehen würde es dir die Beine weghauen.«
    »Ist es so schlimm?«
    »Setz dich.«
    Er zögert, schließlich fügt er sich. »Also?«
    Mit einer Handbewegung bedeute ich ihm, sich zu gedulden. Mein Atem spielt verrückt. Ich halte die Luft an, um wieder zur Ruhe zu kommen. Als ich mich gesammelt habe, eröffne ich das Feuer: »Sag stopp, wenn du genug hast, Prof. Bist du bereit?«
    Er schweigt.
    »Nehmen wir einen Gefangenen ohne Gedächtnis und nennen ihn den Namenlosen. Wir verpassen ihm eine Vergangenheit nach den Vorstellungen unserer Freunde und kommen überein, daß er unter die Präsidentenamnestie fallen soll. Gleichzeitig wiegeln wir die Stadt auf und machen ihr weis, daß diese Freilassung eine heikle Sache sei, da der Betreffende eine potentielle Gefahr für die Gesellschaft darstelle. Ergebnis: Alle Welt ist alarmiert. Angefangen bei einem gewissen Polizeikommissar. Daraufhin setzt sich die Maschinerie in Gang. Wieder in Freiheit, erlangt unser Namenloser plötzlich sein Gedächtnis zurück. Er erinnert sich an den Mann, der sein Verderben und das seiner Familie verursacht hat, und trachtet ihm nach dem Leben. Er hat Pech, er nimmt den Falschen aufs Korn und erschießt den Fahrer des Opfers. Dabei handelt es sich nicht um irgendein Opfer. Haj Thobane verliert den Kopf und die Hierarchie den Verstand. Ganze Kommandos von Spürhunden werden losgeschickt, den Mörder zu finden. Aber es kommt viel besser: Sie beseitigen ihn. Im selben Zuge muß ein kleiner Lieutenant für alles seinen Kopf herhalten. Da man nicht weiß, was seine Knarre bei der Leiche des Mörders zu suchen hat, geht man von Beihilfe aus. Der alte Kommissar Llob ist gezwungen, seinen Assistenten aus dem Wespennest, in das er sich gesetzt hat, wieder rauszuholen. Er wird versuchen, eine Verbindung zwischen der Zielscheibe und dem Mörder herzustellen, um seinen Mitarbeiter zu entlasten. Und da meldet sich die
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