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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter
Autoren: Petra Oelker
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Im September
1760
    EINE NACHT ENDE SEPTEMBER
    Die Hunde! Wenn nur die Hunde nicht bellten. Es waren gute Tiere, wachsam und schnell. Sie waren zu dritt und schienen doch
     überall zu sein. Wer immer sich dem Hof oder den Gärten, ja selbst dem hinteren Park näherte, wurde von ihnen bemerkt. Und
     wenn die Hunde bellten, käme der Torwächter, und wenn der Torwächter käme – dann musste sie eben schneller sein.
    Sie schloss die Knöpfe der samtenen Kniehose, sie passte genau, und schlüpfte in die Jacke aus dickem wollenem Tuch. Die allerdings
     war viel zu groß, auch nicht mehr ganz heil, aber warm, und, was noch wichtiger war, der Gärtner würde sie nicht vermissen.
     Nicht bevor es kalt wurde. Sie hatte nie zuvor gestohlen und hoffte, Gott werde ihr vergeben. Natürlich auch der Gärtner und
     der kindliche Diener, dem die Kniehose gehörte. Sie selbst besaß nur Kleider aus Seide, Batist oder feinem Kattun, nicht die
     richtige Garderobe für das, was heute Nacht beginnen sollte.
    Vom Glockenturm des Schlosses auf dem Hügel eine halbe Meile nördlich des Parks klangen zwei dünne Schläge herüber, und sie
     wusste, dass es nun Zeit war.
    Als sie am Abend zu Bett gegangen war, hatte sie gefürchtet, doch einzuschlafen. Aber sie war wach geblieben, all die Stunden,
     hatte auf die Geräusche der Nacht gehört und von ihnen Abschied genommen. Zuerst vondenen des Hauses: von den selbstbewussten Schritten ihres Vaters auf der Treppe, als er hinauf in sein Schlafzimmer ging,
     vom Klappen seiner Tür. Gleich darauf folgten die Schritte seines Dieners, kurze, fast militärische Schritte, gleichwohl von
     angemessener Ergebenheit, bis in seine Kammer unter dem Dach. Aus der Küche im Souterrain klapperten gedämpft die großen kupfernen
     Töpfe und Pfannen, die die Köchin frisch poliert an die Haken an der Wand über dem Arbeitstisch hängte. Sie hörte die huschenden
     Füße der Mädchen, hastig unterdrücktes Kichern, schließlich die schwereren der Köchin auf der hinteren Treppe für das Gesinde.
     Irgendwo schlug ein Fenster zu, alte Dielen knarrten. Dann war es still.
    Still genug, das Flüstern des Windes in den Blättern der Bäume und Büsche vor ihrem Fenster zu hören. Sie wartete auf den
     Schrei der Schleiereule, die in dem alten, schon längst nicht mehr benutzten Backhaus wohnte, doch heute Nacht blieb er aus.
     Dafür glaubte sie das leise Plätschern des Baches und das sanfte Knarren des großen Wasserrades der Mühle in der Teichsenke
     zu hören. Das konnte nur ein Spiel der Phantasie sein. In der Nacht stand das Rad still, erst bei Sonnenaufgang würde der
     Müller wieder mit seiner Arbeit beginnen. Auch das schläfrige Scharren und Schnauben der Pferde im Stall hinter dem Gartenhaus
     waren nur in ihrem Kopf, Teil der vertrauten Abendmelodie ihrer Kindheit, die heute endgültig zu Ende ging.
    Sie hatte gedacht, dass sie in dieser Nacht, besonders in diesen letzten Stunden, zornig sein würde, vielleicht auch angstvoll,
     gar schwankend in ihrem Entschluss. Sie hatte jedoch nicht erwartet, so traurig zu sein.
    Nun lag alles in tiefem Schlummer, selbst der oft schlaflose Mann in seinem großen Bett mit dem schweren Baldachin. Und die
     Hunde? Sie griff nach dem Bündel auf ihrem Bett, prüfte die Knoten des Tuches und schob entschlossen das kleine rundliche
     Kinn vor. Sie spürte die Bewegung in ihrem Gesicht, und für einen Moment verflog alle Traurigkeit. Nie wieder würde jemand
     zu ihr sagen, vor lauter Trotz sei ihr Kinn schon wie das eines Mannes.
    Die Schuhe, wie Jacke und Hose gestohlen, ein wenig zu groß und mit Wolllappen ausgestopft, verschwanden in den Taschen ihrer
     Jacke.
    Die Hunde würden ruhig bleiben. Sie kannten sie ihr Leben lang, und sie hatte sie niemals geschlagen oder getreten, wie es
     der Torwächter manchmal tat. Sie lauschte ein letztes Mal in die Stille des Hauses, sah sich noch einmal in ihrem Zimmer um,
     atmete noch einmal den vertrauten Geruch von Lavendel, Puder und Melisse, stieg endlich auf das Fensterbrett und glitt sachte
     an der äußeren Mauer wieder hinunter. Trotz der Myriaden von Sternen war die Nacht dunkel, denn der Mond zeigte nur eine schmale
     Sichel. Vielleicht wäre es besser gewesen, in einer Neumondnacht zu gehen. Doch sie hatte in der Küche gehört, dass Neumond
     die Nächte der Straßenräuber waren, auch war ihr die Vorstellung der absoluten Dunkelheit zu schrecklich gewesen.
    Der Duft des Gartens, trotz der Kühle des Abends
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